Leitsatz (amtlich)
1. Bewilligt das Prozessgericht Prozesskostenhilfe nur in Höhe der Selbstbeteiligung zu den Leistungen einer vorhandenen Rechtsschutzversicherung, dann ist dies zwar Ausdruck des Einsatzes von Vermögen, gestaltet aber das prozesskostenhilferechtliche Leistungssystem um.
2. Die Staatskasse hat dann in jedem Fall für die Deckungslücke in Höhe der Selbstbeteiligung aufzukommen; ob eine Deckungslücke besteht, darf sie nicht nach ihren eigenen Vergütungsberechnungen ermitteln.
3. Eine relevante Änderung der Verhältnisse im Sinn von § 120 Abs. 4 Satz 1 ZPO liegt nur dann vor, wenn die Deckungslücke geringer ausfällt, nicht aber schon dann, wenn der von der Rechtsschutzversicherung tatsächlich ausgezahlte Betrag höher ist als erwartet.
4. Der Staatskasse ist es verwehrt, auf die an den beigeordneten Rechtsanwalt zu erbringenden Leistungen in Höhe der Selbstbeteiligung Zahlungsansprüche gegen die Partei anzurechnen.
Tenor
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 15. März 2012, auf die Erinnerung wird die Kostenfestsetzung der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle am Sozialgericht Bayreuth vom 2. März 2012 aufgehoben.
Die dem Beschwerdeführer aus der Staatskasse zu leistende Vergütung wird auf 300 EUR (Umsatzsteuer eingeschlossen) festgesetzt.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe
I.
Das Beschwerdeverfahren betrifft die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung nach §§ 45 ff. RVG.
Der Beschwerdeführer vertrat den damaligen Kläger in einem rentenversicherungsrechtlichen Klageverfahren vor dem Sozialgericht Bayreuth (S 16/17 R 639/09), wobei er diesem im Rahmen der Prozesskostenhilfe (PKH) beigeordnet worden war. Der Kläger war rechtsschutzversichert, musste aber nach den Versicherungsbedingungen eine Selbstbeteiligung von 300 EUR leisten. Im PKH-Bewilligungsbeschluss vom 12.07.2010 beschränkte das Prozessgericht die PKH auf die Übernahme der Selbstbeteiligung sowie auf die Übernahme der Terminsauslagen gemäß Nr. 7003 ff. VV RVG.
Nach Erledigung des Klageverfahrens zahlte die Rechtsschutzversicherung dem Beschwerdeführer 892,50 EUR (u.a. Verfahrensgebühr 250 EUR, Terminsgebühr 200 EUR, Einigungsgebühr 280 EUR) abzüglich der Selbstbeteiligung von 300 EUR, insgesamt also 592,50 EUR. Die Urkundsbeamtin errechnete demgegenüber einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse von nur 547,40 EUR; dabei setzte sie keine Terminsgebühr und die Einigungsgebühr nur in Höhe von 190 EUR an. Die Zahlung der Selbstbeteiligung lehnte die Urkundsbeamtin mit der Begründung ab, die Rechtsschutzversicherung habe ohnehin mehr gezahlt, als dem Beschwerdeführer nach ihrer Berechnung zustehe (Regelung vom 02.03.2012). Die Erinnerung des Beschwerdeführers blieb ohne Erfolg (Beschluss der Kostenrichterin vom 15.03.2012).
Gegen den Beschluss der Kostenrichterin richtet sich die Beschwerde (eingelegt am 02.04.2012). Zur Begründung hat der Beschwerdeführer vorgetragen, die Nichtzahlung der 300 EUR würde praktisch eine Abänderung des PKH-Bewilligungsbeschlusses bedeuten; dies sei aber unzulässig. Der Kläger habe die Selbstbeteiligung ja tatsächlich zu leisten. Dem Sozialgericht stehe es nicht zu, seine Berechnung der Vergütung nach §§ 45 ff. RVG auch für das Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und ihm, dem Beschwerdeführer, zum Maßstab zu machen. Selbst wenn er keine Terminsgebühr beanspruchen könne, so der Beschwerdeführer, sei es der Staatskasse verwehrt, die Zuvielzahlung seitens der Rechtsschutzversicherung als einzusetzendes Vermögen zu behandeln; denn diese habe er der Rechtsschutzversicherung zu erstatten.
Der Senat hat die Akte des Sozialgerichts S 16/17 R 639/09 beigezogen.
II.
Zuständig für die Entscheidung über die Beschwerde ist zwar prinzipiell der Einzelrichter (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG). Jedoch entscheidet wegen grundsätzlicher Bedeutung der hier vorliegenden Angelegenheit gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG der Senat als Gesamtspruchkörper. Ehrenamtliche Richter wirken nicht mit (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 3 RVG).
Die Beschwerde ist größten Teils begründet. Dem Beschwerdeführer steht in der Tat die Zahlung von 300 EUR inklusive Mehrwertsteuer gegen die Staatskasse zu (vgl. dazu im Folgenden 1.). Er hat jedoch keinen Anspruch auf Verzinsung (vgl. dazu im Folgenden 2.).
1. Selbstbeteiligung
Die Staatskasse vertritt sinngemäß den Standpunkt, was die Rechtsschutzversicherung ausgezahlt habe, sei als Vermögen einzusetzen. Dabei zieht sie als prozesskostenhilferechtlichen "Bedarf" den Betrag heran, den sie selbst ermittelt hat, d.h. ohne Terminsgebühr und mit wesentlich niedrigerer Einigungsgebühr. Das einzusetzende Vermögen in Höhe von 592,50 EUR, so die Staatskasse weiter, übersteige aber den "Bedarf", den sie auf insgesamt 547,40 EUR beziffert. Da sie sich dazu berechtigt sieht, die Zahlungen der Rechtsschutzversicherung auf den auf diese Weise von ihr ermittelten Bedarf anzurechnen, kommt die Staatskasse zum Ergebnis, dem Beschwe...