Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren: Voraussetzungen einer Auferlegung von Verschuldenskosten
Leitsatz (amtlich)
1. Missbräuchlich ist insbesondere eine offensichtlich unzulässige oder unbegründete Rechtsverfolgung, die von jedem Einsichtigen als völlig aussichtslos angesehen werden muss.
2. Allein eine ungünstige Beweissituation oder Beweislage kann einen Missbrauch noch nicht begründen. Vielmehr muss ein gewisses Maß an Aussichtslosigkeit bestehen.
3. Das Gericht sollte im Rahmen seines Ermessens den Grad der Missbräuchlichkeit oder der Schwere des Verschuldens, die Höhe der entstandenen Kosten und die wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen berücksichtigen. Daneben stellt sich im Rahmen des Ermessens auch die Frage, ob der Klägerin oder gegebenenfalls dem Prozessbevollmächtigten Verschuldenskosten aufzuerlegen sind.
Tenor
Die Kostenentscheidung im Urteil des Sozialgerichts München vom 26. Juni 2018 unter Ziffer III wird aufgehoben.
Gründe
Nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht im Urteil einem Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dargelegt und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreites hingewiesen worden ist. In der Entwurfsbegründung (BT-DRS. 14/5943, Seite 28 zu Nr. 65) wurde ausgeführt: "... Es wird dem Gericht ermöglicht, in Fällen, in denen Beteiligte oder ihre Vertreter bzw. Bevollmächtigte schuldhaft das Verfahren verzögert haben, ganz oder teilweise die dadurch verursachten Kosten aufzuerlegen. Entsprechendes gilt, wenn der Beteiligte auf die Aussichtslosigkeit des Rechtsstreites sowie auf eine mögliche Kostentragungspflicht durch den Vorsitzenden in einem Termin hingewiesen worden ist. Außerdem wird dem Gericht entsprechend § 34 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) die Möglichkeit eröffnet, einem Beteiligten Kosten aufzuerlegen, wenn die Erhebung der Klage oder sonstige Verfahrenshandlungen als Missbrauch des grundsätzlich kostenfreien sozialgerichtlichen Rechtsschutzes anzusehen sind (z. B. bei substanzlosen Klagen in Bagatellfällen). ... Diese Regelung trägt dem Schadensersatzprinzip Rechnung. Kosten im Sinne dieser Vorschrift können deshalb vor allem die dem Gericht entstandenen Kosten für eine Beweisaufnahme, für das Absetzen eines schriftlichen Urteils oder die allgemeinen Gerichtshaltungskosten sein. ..."
Der Senat leitet aus dieser klaren Regelung in § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG zunächst ab, dass auch weiterhin Verschuldenskosten erhoben werden können. Aus dem Verweis auf § 34 BVerfGG scheint es im Übrigen auch naheliegend, die schuldhaft verursachten Kosten einem Vertreter oder Prozessbevollmächtigten aufzuerlegen (Krauß in Roos/Wahrendorf, Sozialgerichtsgesetzt, 2014, § 192, Rn. 11).
§ 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG erfordert nach Auffassung des Senats folgende Voraussetzungen:
a) Bezüglich des Begriffs der Missbräuchlichkeit kann wegen des Bezugs auf § 34 BVerfGG auf die Bestimmung des Begriffs der Missbräuchlichkeit nach den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätzen zurückgegriffen werden (Krauß in Roos/Warendorf, Sozialgerichtsgesetzt, 2014, § 192, Rn. 25, m.w.N.) Missbräuchlich ist danach insbesondere eine offensichtlich unzulässige oder unbegründete Rechtsverfolgung, die von jedem Einsichtigen als völlig aussichtslos angesehen werden muss (z.B. BVerfG, Beschluss vom 25.10.2011-2 BvR 751/11-, Rn. 7; BVerfGK 6, 219 ≪219≫; 10, 94 ≪97≫; 14, 468 ≪470≫). Offensichtlich aussichtslos ist allerdings eine Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nur dann, wenn sich die maßgeblichen Rechtsfragen entweder unmittelbar aus dem Wortlaut der einschlägigen Vorschriften beantworten lassen oder durch höchstrichterliche Rechtsprechung zweifelsfrei geklärt sind (Krauß in Roos/Warendorf, Sozialgerichtsgesetzt, 2014, § 192, Rn. 26, m.w.N.). Hängt der Ausgang eines Rechtsstreites maßgeblich von einer Beweiswürdigung ab, kann sich die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung auch als offensichtlich aussichtslos darstellen, wenn ein gesteigertes Maß an Aussichtslosigkeit besteht (vergleiche z.B Bay. LSG, Beschluss vom 20.12.2006 - L 8 AL 130/05). Allein eine ungünstige Beweissituation oder Beweislage wird einen Missbrauch jedoch noch nicht begründen können. Vielmehr muss ein gewisses Maß an Aussichtslosigkeit bestehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn ein Gutachten oder gar ein Gutachten nach § 109 SGG das Begehen nicht stützen. Ergibt sich die Position des Klägers jedoch aus einem Gutachten, wird sich eine Missbräuchlichkeit nur schwer begründen lassen.
b) Die Frage, ob eine objektivierte Einsichtsfähigkeit, wenn also ein verständiger Kläger von der Rechtsverfolgung Abstand nehmen oder ein verständiger Beklagter den geltend gemachten Anspruch ohne Weiteres anerkennen würde (Krauß in Roos/Warendorf, Sozialgerichtsgesetzt,...