Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtliche Würdigung des Beweiswerts eines auf Antrag der Klägerseite eingeholten medizinischen Gerichtsgutachtens hinsichtlich der Entscheidung über die endgültige Kostentragung

 

Leitsatz (amtlich)

Im Rahmen seiner Ermessenserwägungen hat das erstinstanzliche Gericht zu berücksichtigen, ob das von ihm eingeholte Gutachten gem. § 109 SGG für das gerichtliche Verfahren in seiner Gesamtheit zur Sachaufklärung beigetragen hat und entscheidungserheblich geworden ist. Das erstinstanzliche Gericht darf sich nicht darauf beschränken, zu prüfen, ob das Gutachten gem. § 109 SGG für die eigene Entscheidung in der Hauptsache von Relevanz war. Vielmehr ist im Rahmen der Ermessenserwägungen auch einzubeziehen, ob das Gutachten im Berufungsverfahren aus Sicht des Berufungsgerichts einen wesentlichen Beitrag zur Sachaufklärung und Erledigung geliefert hat.

 

Tenor

I. Der Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 20.12.2011, Az.: S 7 SB 513/09, wird aufgehoben.

II. Die Kosten für das gemäß § 109 SGG eingeholte Gutachten des Prof. Dr. P. vom 11.09.2010 werden auf die Staatskasse übernommen.

III. Dem Beschwerdeführer sind die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I.

In dem am Sozialgericht Regensburg (SG) unter dem Az.: S 7 SB 513/09 anhängig gewesenen Rechtsstreit des Klägers und jetzigen Beschwerdeführers (Bf) gegen den Freistaat Bayern erstellte am 04.01.2010 Dr. V., prakt. Ärztin, Psychotherapie, ein Gutachten zur Höhe des Grades der Behinderung (GdB). Dabei kam die Sachverständige zu der Einschätzung, dass eine krankheitswertige depressive Verstimmung des Bf nicht nachweisbar sei und eine Antriebsstörung nicht vorliege. Den Gesamt-GdB schätzte sie auf 50.

Gegen dieses Gutachten wandten die Bevollmächtigten des Bf ein, dass beim Bf sehr wohl eine Antriebsstörung vorliege.

In dem vom Bf gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beantragten Gutachten durch Prof. Dr. P., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, kam der Sachverständige am 11.09.2010 zu dem Ergebnis, dass beim Bf eine Anpassungsstörung mit vorwiegender Beeinträchtigung von anderen Gefühlen vorliege. Den Einzel-GdB für die seelische Störung schätzte er auf 20, den Gesamt-GdB auf 60.

Im Gerichtsbescheid vom 08.12.2010 schloss sich das SG der Einschätzung des Gutachters Prof. Dr. P. nicht an; die Ausführungen des Sachverständigen seien widersprüchlich. In dem sich daran anschließenden, vom Bf angestrengten Berufungsverfahren vor dem Bayer. Landessozialgericht (LSG), Az.: L 15 SB 17/11, holte das LSG zur Aufklärung der widersprüchlichen gutachtlichen Feststellungen zu einer möglichen psychischen Störung des Bf ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten bei Herrn R. ein. Dieser sah im Gutachten vom 08.08.2011 beim Bf eine leichte depressive Verstimmung im Rahmen einer Anpassungsstörung, die er mit einem GdB von 20 bewertete. Den Gesamt-GdB schätzte er ab Untersuchung auf 90, wobei dafür maßgeblich eine Hörminderung war, die sich zwischenzeitlich wesentlich verschlechtert hatte.

Die Beteiligten einigten sich vergleichsweise auf einen GdB von 70 ab dem 25.11.2010; dabei wurde u.a. für eine seelische Störung ein Einzel-GdB von 20, wie ihn auch der Sachverständige Prof. Dr. P. festgestellt hatte, zugrunde gelegt.

Mit Schreiben vom 01.12.2011 haben die Bevollmächtigten des Bf beim SG beantragt, die Kosten für das gemäß § 109 SGG eingeholte Gutachten des Prof. Dr. P. der Staatskasse aufzuerlegen.

Mit Beschluss vom 20.12.2011 hat das SG diesen Antrag abgelehnt. Das Gutachten des Prof. Dr. P. habe über das von Amts wegen eingeholte Gutachten von Dr. V. hinaus keine weitere Aufklärung des medizinischen Sachverhalts gebracht. Das SG habe sich bei seiner Entscheidung allein auf die Ausführungen der Dr. V. gestützt. Das Gutachten des Prof. Dr. P. sei damit nicht beweiserheblich gewesen.

Am 27.01.2012 haben die Bevollmächtigten des Bf gegen den Ihnen am 28.12.2011 zugestellten Beschluss Beschwerde eingelegt.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die vom SG ausgesprochene Ablehnung einer Übernahme der Kosten für das Gutachten des Prof. Dr. P. auf die Staatskasse ist ermessensfehlerhaft. Die Kosten sind vielmehr auf die Staatskasse zu übernehmen.

Nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG muss auf Antrag des behinderten Menschen ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann - wie dies im vorliegenden Fall auch erfolgt ist - davon abhängig gemacht werden, dass der Antragsteller die Kosten dafür vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts auch endgültig trägt (§ 109 Abs. 1 Satz 2 SGG). Eine "andere Entscheidung" in diesem Sinn hat der Bf beim SG beantragt.

Die Entscheidung darüber, ob die Kosten eines gemäß § 109 SGG eingeholten Gutachtens auf die Staatskasse zu übernehmen sind, ist eine Ermessensentscheidung (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig, ders., Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 109, Rn. 16) des Gerichts, das das Gutachten angefordert hat (vgl. Keller, a.a.O., § 109, Rn. 18). Bei der Ermess...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?