Entscheidungsstichwort (Thema)

Übernahme der Kosten eines Gutachtens durch die Staatskasse. Wesentliche Förderung der Sachaufklärung. Bedeutung für die gerichtliche Entscheidung. Einheitlicher Streitgegenstand. Prüfungsumfang im Beschwerdeverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die erstinstanzliche Entscheidung zur Kostenübernahme auf die Staatskasse ist im Beschwerdeverfahren voll, d.h. nicht nur auf Ermessensfehler, überprüfbar. Die Befugnis zur Ausübung des Ermessens geht mit der Beschwerde in vollem Umfang auf das Beschwerdegericht über.

2. Geht das Hauptsacheverfahren in die Berufung, darf bei der Bewertung, ob das in der ersten Instanz eingeholte Gutachten gemäß § 109 SGG die Sachaufklärung objektiv wesentlich gefördert und somit Bedeutung für die gerichtliche Entscheidung oder den Ausgang des Verfahrens gewonnen hat, nicht allein auf das erstinstanzliche Verfahren abgestellt werden. Vielmehr ist das gesamte Verfahren, also auch das Berufungsverfahren in die Erwägungen einzubeziehen.

3. Eine nur teilweise Kostenübernahme ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen, aber bei einem einheitlichen Streitgegenstand regelmäßig nicht sachgerecht.

Über den Umfang der Kostenübernahme auf die Staatskasse kann keine Sanktionierung der Qualität eines Gutachtens in dem Sinn erfolgen, dass der Antragsteller die Kosten soweit selbst zu tragen hätte, als die Ausführungen eines Sachverständigen bei der Erledigung nicht als zutreffende Bewertung zugrunde gelegt worden sind

 

Normenkette

SGG § 109 Abs. 1 S. 2, § 106

 

Tenor

I. Der Beschluss des Sozialgerichts München vom 22. Juli 2013 wird aufgehoben.

II. Die Kosten für das gemäß § 109 SGG eingeholte Gutachten des Herrn Dr. K. vom 18. April 2011 werden auf die Staatskasse übernommen.

III. Der Beschwerdeführerin sind die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I.

In dem am Sozialgericht München (SG) unter dem Az.: S 18 SB 250/10 anhängig gewesenen Rechtsstreit der Klägerin und jetzigen Beschwerdeführerin wegen der Höhe des Grads der Behinderung (GdB) - Ziel der Beschwerdeführerin war ein höherer GdB als 40 - erstellte nach der Einholung eines orthopädischen Gutachtens bei Dr. F. (Einzel-GdB von 20 für Wirbelsäulenbeschwerden) zunächst der der Neurologe und Psychiater Dr. K. unter dem Datum vom 26.08.2010 ein Gutachten von Amts wegen. Er kam dabei zu der Einschätzung, dass der Gesamt-GdB 40 betrage. Dieser Einschätzung lag eine mit einem GdB von 30 bewertete seelische Störung in Form einer somatoformen Schmerzstörung zugrunde. Eine klassische Migräne - so der Sachverständige - bestehe aufgrund der Beschwerdeschilderung der Beschwerdeführerin nicht..

In dem von der Beschwerdeführerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beantragten Gutachten durch den Neurologen und Psychiater Dr. K. vom 18.04.2011 bewertete dieser den Gesamt-GdB mit 50. Dabei legte er für die seelische Störung einen Einzel-GdB von 30 zugrunde. Daneben ging er von einem Einzel-GdB von 20 für ein Fibromyalgie-Syndrom und von 30 für eine echte Migräne aus.

Das SG schloss sich im Urteil vom 04.08.2011, Az.: S 18 SB 250/10, der Einschätzung des Dr. K. nicht an und wies die Klage ab.

Im Berufungsverfahren wurde die Beschwerdeführerin u.a. nochmals nervenärztlich durch Dr. K. begutachtet, nachdem die behandelnde Psychiaterin und Psychotherapeutin über eine Verschlechterung des psychischen Zustands berichtet hatte. Dr. K. hingegen sah keine relevante Verschlechterung des Gesundheitszustands der Beschwerdeführerin. Er äußerte sich auch zum Gutachten des Dr. K.. Eine gesonderte Bewertung der Fibromyalgie, wie dieser dies gemacht habe, sei eine unzulässige Doppelbewertung, da die Fibromyalgie eine Sonderform einer somatoformen Störung sei. Eine klassische Migräne liege wegen der Beidseitigkeit der Beschwerden nicht vor; die Beschwerden seien unter die seelische Störung zu subsumieren.

Im Laufe des Berufungsverfahrens ist aus Arztberichten erkennbar geworden, dass die Beschwerdeführerin wegen der Migränebeschwerden seit langem medikamentös behandelt worden war.

Das Berufungsverfahren ist in der mündlichen Verhandlung vom 02.07.2013 mit Vergleich (GdB von 50 ab 01.03.2013) beendet worden.

Mit Beschluss vom 22.07.2013 hat das SG den Antrag der Beschwerdeführerin abgelehnt, die Kosten für das Gutachten gemäß § 109 SGG auf die Staatskasse zu übernehmen.

Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin Beschwerde erhoben. Sie hat diese damit begründet, dass Grundlage für die Erhöhung des GdB von 30 auf 40 für die psychische Störung inklusive der Migräneerkrankung das Gutachten des Dr. K. gewesen sei.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Die ablehnende Entscheidung des SG ist mit Blick auf die weiteren Erkenntnisse im Berufungsverfahren aufzuheben. Die Kosten für das gemäß § 109 SGG eingeholte Gutachten sind auf die Staatskasse zu übernehmen.

Nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG muss auf Antrag des behinderten Menschen ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann - wie dies im vorliegenden Fal...

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