Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. europarechtskonforme Auslegung. erfassungsgemäße Auslegung. Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Faktischer Zwang zur Ausreise. Gleichbehandlungsgrundsatz. Einstweilige Anordnung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verstößt nicht gegen höherrangiges europäisches Recht.
2. Der Leistungsausschluss für Unionsbürger begegnet keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, die die vorläufige Bewilligung von Leistungen erforderlich machen würden.
3. Einem Unionsbürger ist die Beendigung des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland und die Rückkehr in sein Heimatland regelmäßig zuzumuten.
Normenkette
SGB II § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2; FreizügG/EU § 2 Abs. 2 Nr. 1a; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1; VO (EG) 883/2004 Art. 4, 70 Abs. 2; RL (EG) 38/2004 Art. 24; SGG § 86b Abs. 2
Tenor
I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Klägerin und Antragstellerin begehrt vorläufig die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Streitig ist dabei der Anwendungsbereich des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II.
Die 1963 geborene Antragstellerin ist portugiesische Staatsangehörige. Sie lebt mindestens seit September 2014 in der Bundesrepublik Deutschland, da sie sich zum 01.09.2014 bei der Stadt A-Stadt unter der Adresse ihres Lebensgefährten anmeldete. Dieser ist ebenfalls portugiesischer Staatsangehöriger und erhält vom Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.
Zu überprüfen ist vorliegend der Anspruch der Antragstellerin auf Leistungen auf den Weiterbewilligungsantrag vom 02.02.2015, mit dem die Antragstellerin und ihr Lebensgefährte gemeinsam Leistungen beantragten.
Mit Bescheid vom 13.04.2015 bewilligte der Beklagte und Antragsgegner "der Bedarfsgemeinschaft" des Lebensgefährten der Antragstellerin Leistungen in Höhe von 525 € (360 € Regelbedarf, 165 € Bedarfe für Unterkunft und Heizung). Eine Bewilligung erfolgte darin lediglich gegenüber dem Lebensgefährten. Im Übrigen wurde der Antrag abgelehnt. Mit Widerspruch vom 20.04.2015 wandte sich die Antragstellerin gegen die Ablehnung der Leistungen ihr gegenüber. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 01.07.2015 zurückgewiesen, da die Antragstellerin von den Leistungen ausgeschlossen sei. Sie sei nicht erwerbstätig und verfüge mangels ausreichender Existenzmittel und ausreichendem Krankenversicherungsschutz über kein Aufenthaltsrecht. Für die Monate Juli und August 2015 erging am 04.08.2015 ein Änderungsbescheid unter Berücksichtigung der Einkünfte des Lebensgefährten der Antragstellerin.
Über ihren Lebensgefährten als Prozessbevollmächtigten erhob die Antragstellerin am 07.07.2015 Klage zum Sozialgericht Augsburg. Der Leistungsausschluss sei unverständlich. Sie habe bereits einen Deutschkurs belegt und bemühe sich um eine Krankenversicherung. Als Unionsbürgerin habe sie Anspruch auf Leistungen. Nach dem EuGH dürften Unionsbürger mit Verbindungen zum Arbeitsmarkt nicht von Leistungen ausgenommen werden, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern. Ihr Lebensgefährte übe eine Beschäftigung aus und sie könne ebenfalls rasch in den Arbeitsmarkt integriert werden. Ein Anspruch bestehe auch nach dem Europäischen Fürsorgeabkommen.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 25.08.2015 gab die Antragstellerin an, dass sie bislang keine Arbeit gefunden habe und auch wenig Aussicht bestehe, da sie an Krebs erkrankt sei und ihr deswegen ein Grad der Behinderung von 60 zuerkannt worden sei. Sie beantragte, den Antragsgegner unter Abänderung seines Bescheids vom 13.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.07.2015 und des Änderungsbescheids vom 04.08.2015 zu verpflichten, ihr vom 01.04.2015 bis zum 30.09.2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu bewilligen.
Mit Urteil vom 25.08.2015 wies das Sozialgericht Augsburg die Klage ab. Die Antragstellerin habe im streitigen Zeitraum vom 01.04.2015 bis zum 30.09.2015 keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gegen den Beklagten, weil sie gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von diesen Leistungen ausgeschlossen sei. Ihr Aufenthaltsrecht ergebe sich allenfalls aus dem Zweck der Arbeitsuche. Die Antragstellerin habe seit ihrem Zuzug nach Deutschland keine Beschäftigung gefunden. Auf eine solche bestehe nach eigener Darstellung wegen der Erkrankung auch kaum Aussicht. Sie könne daher ein Aufenthaltsrecht allein aus § 2 Abs. 2 Nr. 1a des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) herleiten. Mit Urteil vom 11.11.2014 (Rs. C 333/13 - Dano) habe inzwischen der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) entschieden, dass die Richtlinie 2004/38 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 2...