Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren: Entschädigung für Teilnahme an einem Gerichtstermin. maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung eines entschädigungsrelevanten Verdienstausfalls. Höhe der ersatzfähigen Reisekosten bei mehreren Teilstrecken mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln

 

Leitsatz (amtlich)

1. Maßgeblich für die Beurteilung, ob ein Verdienstausfall entstanden ist, ist die Beurteilung am Tag des Gerichtstermins, der den Entschädigungsanspruch nach dem JVEG zur Folge hat. Wird der Verdienstausfall erst später bewirkt, hat dies für die Frage der Entschädigung keine Bedeutung mehr.

2. Bei der Benutzung von öffentlichen, regelmäßig verkehrenden Beförderungsmitteln sind die angefallenen Fahrtkosten bis zu der Höhe zu erstatten, wie sie bei der Benutzung der ersten Wagenklasse der Bahn einschließlich der Auslagen für Platzreservierung und Beförderung des notwendigen Gepäcks entstanden wären. Ein abschnittsweiser Teilkostenvergleich dahingehend, dass die tatsächlichen Kosten auf der jeweiligen Teilstrecke den Kosten einer Anreise in der ersten Wagenklasse der Bahn gegenüber gestellt werden, wenn wie der Antragsteller auf den Teilstrecken unterschiedlich teure Reisearten gewählt hat, verbietet sich.

3. Die Höhe des Tagegelds ergibt sich ausschließlich aus der notwendigen Abwesenheitszeit, unabhängig von den konkret dadurch erforderlich gewordenen Aufwendungen.

 

Orientierungssatz

Entfällt ein Anspruch auf Entschädigung von Verdienstausfalls für die Teilnahme an einem Gerichtstermin nachträglich, da ein Verdienstausfall tatsächlich nicht eingetreten ist, so kommt für die Zeit der Abwesenheit für den Termin eine Entschädigung für Zeitversäumnis in Betracht.

 

Tenor

Die Entschädigung für das Erscheinen beim Gerichtstermin am 21.05.2012 wird auf 451,65 € festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Der beschwerdeführende Bezirksrevisor (im Folgenden: Beschwerdeführer) beanstandet die vom Sozialgericht festgesetzte Entschädigung nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) für das Erscheinen bei einem Gerichtstermin als zu hoch. Streitig sind der Kostenersatz für ein Flugticket, die Entschädigung für Verdienstausfall und die Höhe des Tagesgelds.

In dem am Sozialgericht München (SG) unter dem Aktenzeichen S 15 R 27/08 geführten rentenrechtlichen Klageverfahren wurde die Antragstellerin und jetzige Beschwerdegegnerin (im Folgenden: Beschwerdegegnerin) als Beigeladene unter Anordnung des persönlichen Erscheinens für eine mündliche Verhandlung am 21.05.2012 in München geladen.

Die Beschwerdegegnerin, deren Wohnort (= Ladungsort) nahe H-Stadt über 600 km vom Gerichtsort entfernt lag, fragte daraufhin beim SG wegen der Erstattung der Reisekosten an und wies darauf hin, dass sie entweder am Vortag per Bahn mit einer Übernachtung oder am Sitzungstag mit dem Flugzeug anreisen könne. Zudem werde ihr ein Verdienstausfall für einen Tag Urlaub entstehen. Das SG teilte ihr dazu mit Schreiben vom 08.05.2012 mit, dass die Kosten der günstigsten Möglichkeit erstattet würden.

Am 21.05.2012 nahm die Beschwerdegegnerin an der mündlichen Verhandlung teil. Sie war dazu vom Ladungsort mit dem Auto nach H-Stadt gefahren und von dort weiter nach München geflogen. Vom Flughafen München war sie mit der S-Bahn zum SG gefahren. Die Rückreise erfolgte mit der Bahn (zweite Klasse) nach H-Stadt und von dort wiederum mit dem Auto zum Ladungsort. Die Abwesenheitszeit von zu Hause betrug nach den Angaben der Beschwerdegegnerin im Entschädigungsantrag 12,5 Stunden.

Am 22.05.2012 stellte die Beschwerdegegnerin beim SG einen Entschädigungsantrag mit folgenden Kostenpositionen:

Verdienstausfall für einen Tag Urlaub

166,66 €

PKW-Fahrt (45 km zu je 0,30 €)

13,50 €

Anreise Flugzeug

 264,40 €

S-Bahn-Ticket

 11,00 €

Zehrkosten

 5,35 €

Abreise Bahn

 129,00 €

Gesamt

 590,51 €

Belege für die Aufwendungen lagen bei.

Im Antragsformular hatte der Arbeitgeber der Beschwerdegegnerin dieser am 16.05.2012 bescheinigt, dass sie für den Tag der Gerichtsverhandlung bezahlten Urlaub bzw. Gleitzeit genommen habe; der tägliche Bruttoverdienst der Beschwerdegegnerin betrage 116,66 €.

Der Kostenbeamte setzte mit Schreiben vom 24.05.2012 folgende Entschädigung fest:

Entschädigung für Zeitversäumnis

für 8 Stunden

 24,00 €

PKW-Fahrt (45 km zu je 0,25 €)

 11,25 €

Anreise Flugzeug

 264,40 €

S-Bahn-Ticket

 11,00 €

Tagegeld

 6,00 €

Abreise Bahn

 129,00 €

Gesamt

 445,65 €

Die Ablehnung einer Entschädigung für Verdienstausfall wurde damit begründet, dass die Beschwerdegegnerin bezahlten Urlaub genommen habe.

Am 30.05.2012 hat sich die Beschwerdegegnerin an das SG gewandt und mitgeteilt mit, dass sie unbezahlten Urlaub genommen habe und daher eine Entschädigung für Verdienstausfall begehre. Es ist eine Kopie des Antragsformulars eingesandt worden, in dem zu der Frage "Wurde bezahlter Urlaub/Gleitzeit genommen" nunmehr "nein" angekreuzt war. In einer später von der Beschwerdegegnerin übersandten Bescheinigung des Arbeitgebers vom 22.08.20...

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