Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende: Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitssuche

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II für Personen, die sich allein zum Zweck der Arbeitsuche in Deutschland aufhalten, ist grundsätzlich europarechtskonform.

2. Der Generalanwalt am EuGH befürwortet in seinen Schlussanträgen vom 26.03.2015 in der Rechtssache Alimanovic, C 67/14, eine Unterscheidung zwischen Personen, die keine Arbeit suchen, die eine erste Arbeit suchen und Personen, die in dem Aufenthaltsstaat eine Beschäftigung ausgeübt und verloren haben.

3. Lediglich bei der letzten Gruppe ist eine personenbezogene Prüfung erforderlich, ob eine tatsächliche Verbindung zum Aufenthaltsstaat besteht, insbesondere durch eine effektive und tatsächliche Beschäftigungssuche (erneute Arbeitsuche).

4. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ist so zu verstehen, dass ein Leistungsausschluss besteht, wenn sich mangels eines anderen Aufenthaltsrechts ein Aufenthaltsrecht nur noch (allein) zum Zweck der Arbeitssuche ergeben kann. Damit erfasst der Leistungsausschluss vorbehaltlich der personenbezogenen Prüfung nach Verlust einer Beschäftigung auch Personen, die keine Arbeit suchen oder keine Arbeit mehr suchen.

Eine Auslegung der Norm, wonach derjenige keine Leistungen bekommt, der der Grundforderung des SGB II, der Arbeitsuche, nachkommt, die Leistungen aber demjenigen zu gewähren sind, der sich dieser Grundforderung verweigert, ergäbe keine Sinn.

 

Tenor

I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 13. März 2015 wird zurückgewiesen.

II. Der Beschwerdeführer hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beschwerdegegnerin für das Beschwerdeverfahren zu tragen.

 

Gründe

I.

Die 1994 geborene Antragstellerin polnischer Staatsangehörigkeit begehrt Arbeitslosengeld II vom Antragsgegner, der sich auf einen Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II (allein zur Arbeitsuche) beruft.

Die Antragstellerin befand sich laut Verwaltungsakte bis 31.08.2010, also bis zur Vollendung ihres 16. Lebensjahrs, in polnischer Schulausbildung. Anschließend war sie in Polen elf Monate als Friseurin (ohne Abschluss) und bis 31.07.2013 als Verkäuferin (ohne Abschluss) tätig.

Am 03.08.2014 reiste die Antragstellerin nach Deutschland ein und wohnt seitdem bei ihrer Schwester, die zusammen mit ihren Kindern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II bezieht. Am 05.08.2014 beantragte sie erstmals Arbeitslosengeld II. Sie gab an, im Rahmen geringfügiger Beschäftigung eine Tageszeitung und ein Wochenblatt auszutragen. Leistungen wurden mit Bescheid vom 25.08.2014 abgelehnt.

Am 05.11.2014 beantragte die Antragstellerin erneut Arbeitslosengeld II. Dabei wurden Lohnnachweise vorgelegt. Die Antragstellerin verdiente 13,20 Euro im August, 105,42 Euro im September, 135,90 Euro im Oktober und 80,48 Euro im November 2014. Ab 30.09.2014 besuchte die Antragstellerin eine Vorklasse zum Berufsintegrationsjahr für Asylbewerber und Flüchtlinge (Integrationsklasse). Dort erfolgt eine allgemeine und sprachliche Ausbildung, die nicht auf einen Schul- oder Berufsschulabschluss hinführt und von BAföG-Leistungen ausgeschlossen ist. Der Antrag auf Arbeitslosengeld II wurde mit Bescheid vom 24.11.2014 abgelehnt. Widerspruch wurde nicht erhoben.

Am 30.01.2015 teilte die Antragstellerin mit, dass sie schwanger sei. Die Schule habe sie wegen der Schwangerschaft zum 19.01.2015 abgebrochen. Sie wolle ihre Arbeit auf drei oder vier Stunden aufstocken. Im Gerichtsverfahren teilte sie ferner mit, dass der Vater des Kindes polnischer Staatsangehöriger sei, dieser seit Juni 2014 in Deutschland sei, nicht mit ihr zusammen leben wolle und die Schwangerschaft sowie seine Vaterschaft bestreite. Errechneter Entbindungstermin sei der 02.09.2015.

Am 19.02.2015 wurde mit einem von der Antragstellerin unterschriebenen Antrag die Überprüfung des Bescheids vom 24.11.2014 beantragt.

Am 25.02.2015 wurde mit einem von der Antragstellerin unterschriebenen Antrag beim Sozialgericht Landshut einstweiliger Rechtsschutz begehrt. Sie verfüge lediglich über 120,- Euro Einkommen im Monat.

Mit Beschluss vom 13.03.2015 verpflichtete das Sozialgericht den Antragsgegner der Antragstellerin vorläufig für die Zeit vom 25.02.2015 bis 31.07.2015 Arbeitslosengeld II in Höhe von 80 % des Regelbedarfs und 80 % des Mehrbedarfs für werdende Mütter zu gewähren. Dem Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung stehe die Bestandskraft des Ablehnungsbescheids vom 24.11.2014 nicht entgegen, weil bei der Behörde ein Überprüfungsantrag gestellt wurde, die Dinglichkeit dargelegt wurde und eine ausreichende Bearbeitungsfrist bestanden hat. Ein Leistungsanspruch sei möglich, weil der Leistungsausschuss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II nach dem Recht der Europäischen Union einzuschränken sei. Der Fall tatsächlich arbeitsuchender Unionsbürger sei nicht abschließend geklärt. Die Antragstellerin habe am 30.01.2015 erklärt, ihre Ar...

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