Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Identität von Klageverfahren und vergütungsrechtlicher Angelegenheit. Auswirkungen von Veränderungen des Klagegegenstands. Abweichung in besonderen Fallkonstellationen. Individualansprüche nach dem SGB 2

 

Leitsatz (amtlich)

1. Grundsätzlich besteht Identität zwischen Klageverfahren und vergütungsrechtlicher Angelegenheit. Veränderungen des Klagegegenstands wie zB Verbindungen und Trennungen schlagen sich auch entsprechend im Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts, sei es zu dessen Gunsten, sei es zu dessen Ungunsten, nieder. Mit Abweichungen vom Grundsatz der Identität muss behutsam umgegangen werden.

2. (Nur) bei besonderen Umständen des konkreten Falls kann sich jedoch eine abweichende Behandlung aufdrängen, etwa wenn objektiv Zusammengehörendes künstlich aufgespaltet wird oder zB in bestimmten Fallkonstellationen bei Individualansprüchen nach dem SGB II.

 

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 25. August 2014 wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Gegenstand des Verfahrens ist die Höhe des Rechtsanwaltshonorars nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), das der Beschwerdeführerin nach Beiordnung im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) aus der Staatskasse (Beschwerdegegner) zusteht. Streitig ist, ob hinsichtlich von zwei Klageverfahren dieselbe Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinn gegeben ist.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht München (SG), Az.: S 53 AS 1915/10, ging es um die Anrechnung von Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit auf den Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld II für mehr als einen Bewilligungszeitraum, verfahrensrechtlich eingekleidet teilweise durch eine endgültige Festsetzung, teilweise durch eine Aufhebungs- und Erstattungsverfügung. Am 12.07.2010 erhob der Kläger über seine Bevollmächtigte, die Beschwerdeführerin, Klage und beantragte PKH. Diesem Antrag wurde vom SG mit gerichtlichem Beschluss vom 30.09.2011 entsprochen; die Beschwerdeführerin wurde beigeordnet.

Die Beschwerdeführerin vertrat auch das weitere Mitglied der Bedarfsgemeinschaft des Klägers, seine Ehefrau, als Klägerin im Klageverfahren des SG Az. S 53 AS 1914/10. Dort war die Anrechnung desselben Einkommens in denselben Zeiträumen streitig, die Erstattungsforderungen richteten sich aber gegen die Ehefrau des Klägers. Auch in diesem Klageverfahren wurde die Beschwerdeführerin als Prozessbevollmächtigte im Rahmen der PKH beigeordnet.

Beide Klagen waren am selben Tag erhoben worden. In öffentlicher Sitzung der Kammer am 05.02.2014, die von 10.45 Uhr bis 11.30 Uhr dauerte, wurden beide Verfahren mit Vergleich beendet.

Am 12.02.2014 beantragte die Beschwerdeführerin, ihre Vergütung wie folgt festzusetzen:

Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV RVG

 250,00 EUR

Terminsgebühr, Nr. 3106 VV RVG.

 200,00 EUR

Einigungsgebühr, Nr. 1006 VV RVG

 190,00 EUR

1/2 Reisekosten, Nr. 7003 VV RVG

 16,50 EUR

1/2 Tage- und Abwesenheitsgeld, Nr. 7005

10,00 EUR

Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG

 20,00 EUR

19% USt, Nr. 7008 VV RVG

 130,44 EUR

Gesamt:

 816,94 EUR

Im Verfahren Az. S 53 AS 1914/10 bezifferte sie ihren Vergütungsanspruch in derselben Höhe zzgl. einer Dokumentenpauschale (Nr. 7000 VV RVG) in Höhe von 109,75 EUR einschließlich darauf entfallender Umsatzsteuer. Die Vergütung wurde im beantragten Umfang (947,54 EUR) bereits erstattet (April 2014).

Mit Beschluss vom 28.03.2014 setzte die zuständige Urkundsbeamtin die zu erstattende Vergütung im hier zugrundeliegenden Verfahren (Az.: S 53 AS 1915/10) auf 283,82 EUR fest. Sie legte folgende Gebührenberechnung zu Grunde:

Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV RVG

 75,00 EUR

Terminsgebühr, Nr. 3106 VV RVG.

 60,00 EUR

Einigungsgebühr, Nr. 1006 VV RVG

 57,00 EUR

Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG

 20,00 EUR

Reisekosten, Nr. 7003 VV RVG

16,50 EUR

Tage- und Abwesenheitsgeld, Nr. 7005

 10,00 EUR

19% USt, Nr. 7008 VV RVG

 45,32 EUR

Gesamt:

 283,82 EUR

Dabei berücksichtigte sie durch die parallele Bearbeitung beider Klageverfahren aufgetretene Synergieeffekte. Das Verfahren Az. S 53 AS 1914/10 betreffe die Ehefrau des Klägers, in beiden Verfahren seien identische Schriftsätze eingereicht worden; in der Kanzlei der Beschwerdeführerin seien beide Klagen unter einem Aktenzeichen geführt worden. Im Verfahren Az. S 53 AS 1914/10 sei bereits die Mittelgebühr berücksichtigt worden, daher seien vorliegend Abschläge zu machen. Die Urkundsbeamtin hat auch auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 02.04.2014 (Az.: B 4 AS 27/13 R) verwiesen; hiernach handle es sich bei identischen Sachverhalten verschiedener Personen einer Bedarfsgemeinschaft trotz verschiedener Bescheide um dieselbe Angelegenheit.

Hiergegen hat die Beschwerdeführerin am 08.05.2014 Erinnerung eingelegt; festzusetzen seien 816,94 EUR. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit seien überdurchschnittlich gewesen. Die Staatskasse hat auf die Rechtsprechung des Bayerischen Landessozialgerichts (BayLSG) zur Berücksichtig...

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