Entscheidungsstichwort (Thema)
Befangenheitsantrag ohne namentliche Benennung des abgelehnten Richters
Leitsatz (amtlich)
1. Eine fehlende namentliche Benennung des abgelehnten Richters führt nur dann zu einer Unzulässigkeit des Befangenheitsantrags, wenn der Befangenheitsantrag keine ausreichende Individualisierbarkeit des vom Ablehnungsgesuch betroffenen Richters ermöglicht.
2. Ein Antrag wegen Besorgnis der Befangenheit stellt kein Instrument der Verfahrens- bzw. Fehlerkontrolle hinsichtlich der richterlichen Verfahrensleitung dar.
Tenor
Die Ablehnung der Richterin am Landessozialgericht X. wegen Besorgnis der Befangenheit durch den Kläger im Berufungsverfahren L 20 KR 65/17 ist unbegründet.
Gründe
I.
Zugrunde liegt eine Streitsache aus dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung. Zuständige Berichterstatterin des 20. Senats, der bei der Zweigstelle des Bayer. Landessozialgerichts (LSG) in Schweinfurt angesiedelt ist, ist Richterin am Bayer. LSG (RiLSG) X..
In dem zugrunde liegenden Berufungsverfahren L 20 KR 65/17, in dem der Kläger und jetzige Antragsteller (im Folgenden: Kläger) die Bewilligung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme begehrt, ist diesem mit gerichtlichem Schreiben vom 20.06.2017 auf richterliche Anordnung Folgendes mitgeteilt worden:
"Aus richterlicher Sicht kann eine stationäre Rehabilitation vor Ablauf der gesetzlichen vorgesehenen Frist von 4 Jahren (siehe § 40 Abs. 3 Satz 4 SGB V) bei Ihnen derzeit nicht bewilligt werden. Insoweit fehlt es nach Auswertung des Akteninhalts an den nötigen Voraussetzungen.
Von Richterseite wird Ihnen daher zum jetzigen Zeitpunkt geraten, die von der Beklagten angebotene ambulante Kur anzunehmen und die Berufung zurückzunehmen.
Ggfs. kommt zu einem späteren Zeitpunkt eine erneute Gewährung einer stationären Rehabilitation in Betracht; eine entsprechende Antragstellung bleibt Ihnen insoweit unbenommen.
Sie werden daher um Stellungnahme gebeten, ob Sie die Berufung zurücknehmen."
Der Kläger hat sich dazu mit Schreiben vom 22.06.2017 gegenüber dem "Landessozialgericht München" geäußert und beanstandet, dass er nie untersucht bzw. kein ärztliches Gutachten eingeholt worden und sein Vorbringen daher "unberührt geblieben" sei. Er bitte deshalb, "sich um dies Klage anzunehmen denn ich bin der Auffaßung der Befangenheit und alsbald ein Gutachten zu veranlaßen laut meiner Vorgebrachten Gesundheitlichen Beschwerden."
Die von RiLSG X. abgegebene dienstliche Stellungnahme vom 06.07.2017 ist den Beteiligten am 10.07.2017 zur Kenntnisnahme und gegebenenfalls Stellungnahme übersandt worden.
Der Kläger hat sich dazu mit Schreiben vom 12.07.2017 geäußert und RiLSG X. vorgehalten, dass diese seine Schreiben und die Akten nicht gelesen und bis heute kein Gutachten veranlasst habe, so dass sein Befangenheitsantrag gerechtfertigt sei. Er beantrage nochmals, ein Gutachten einzuholen und die Sachbearbeitung einem anderen Richter zu übergeben.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie des Berufungsverfahrens verwiesen.
II.
Der zulässige Ablehnungsantrag ist unbegründet.
Das Bayer. LSG entscheidet über die Ablehnung durch Beschluss (§ 60 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Zuständig für die Entscheidung über den Ablehnungsantrag des Klägers ist der 20. Senat ohne Mitwirkung der abgelehnten Richterin (§ 60 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 45 Abs. 1 Zivilprozessordnung - ZPO -). Die gemäß § 44 Abs. 3 ZPO erforderliche dienstliche Stellungnahme der abgelehnten Richterin liegt vor und ist den Beteiligten zur Kenntnisnahme und gegebenenfalls Stellungnahme zugeleitet worden. Der Kläger hat von der Gelegenheit, sich zu äußern, mit Schreiben vom 12.07.2017 Gebrauch gemacht.
1. Auslegung des Befangenheitsantrag im Schreiben vom 22.06.2017
Der Kläger lehnt RiLSG X. wegen Besorgnis der Befangenheit ab und begründet dies einerseits mit ihm gegebenen Hinweisen im gerichtlichen Schreiben vom 20.06.2017 und andererseits mit dem Umstand, dass die von ihm als befangen abgelehnte Richterin keine weiteren Ermittlungen in der Sache durchgeführt, insbesondere kein Gutachten eingeholt habe.
Maßstab der Auslegung von Prozesserklärungen und Anträgen bei Gericht ist der Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 12.12.2013, B 4 AS 17/13 R), wobei der Grundsatz einer rechtsschutzgewährenden Auslegung zu berücksichtigen ist (vgl. Bundesfinanzhof - BFH -, Beschluss vom 29.11.1995, X B 328/94). Verbleiben Zweifel, ist von einem umfassenden Rechtsschutzbegehren auszugehen (vgl. BSG, Urteil vom 01.03.2011, B 1 KR 10/10 R), um dem Grundrecht des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz auf wirksamen und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt sowie dem damit verbundenen Gebot der Effektivität des Rechtsschutzes gerecht zu werden (vgl. Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschlüsse vom 30.04.2003, 1 PBvU 1/02, und vom 03.03.2004, 1 BvR 461/03).
Bei Beachtung dieser Vorgaben ist das Schreiben des Klägers ...