Leitsatz (amtlich)

Die Fortführungstätigkeit einer Praxis setzt zunächst voraus, dass der ausscheidende Vertragsarzt zum Zeitpunkt der Beendigung der Zulassung tatsächlich unter einer bestimmten Anschrift in nennenswertem Umfang noch vertragsärztlich tätig ist.

Bei dem Begriff der Fortführungstätigkeit handelt es sich nicht um einen bestimmten Zeitpunkt bezugnehmenden unbestimmten Rechtsbegriff, sondern um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der einer Entwicklung unterliegt, die mit zunehmender zeitlicher Entfernung zum Zeitpunkt der Beendigung der Zulassung des Vertragsarztes durch eine Verflüchtigung des Patientenstammes gekennzeichnet ist und damit zum Wegfall eines für die Fortführungsfähigkeit notwendigen Praxissubstrats führt.

 

Tenor

I. Die Beschwerde des Beschwerdeführers (Bf) gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 25.07.2012 wird zurückgewiesen.

II. Der Bf hat auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

 

Gründe

I.

Der Bf begehrt einstweiligen Rechtsschutz in Zusammenhang mit seinem Antrag auf Ausschreibung seiner Praxis nach § 103 Abs. 4 SGB V.

Der Bf war bis zum 31.01.2011 als Facharzt für Orthopädie zugelassen. Die vorausgegangene Entziehung der Zulassung des Bf zur vertragsärztlichen Versorgung war nach Abschluss von Eilverfahren vor dem Sozialgericht München (SG) (Beschluss vom 08.10.2010, Az.: S 38 KA 605/10 ER) und dem Bayer. Landessozialgericht (LSG) (Beschluss vom 05.01.2011, Az.: L 12 KA 116/10 B ER) rechtskräftig geworden.

Der Bf hat erstmalig mit Formularantrag vom 19.11.2010 Antrag auf Ausschreibung des Vertragsarztsitzes gemäß § 103 Abs. 4 SGB V gestellt. Auf diese Ausschreibung hin sind mehrere Bewerbungen und mehrere Zulassungsanträge eingegangen, so dass für den 23.02.2011 eine Sitzung des Zulassungsausschusses vorgesehen war. Der Bf hat vor dieser vorgesehenen Sitzung mit Schreiben vom 15.02.2011 den Antrag auf Ausschreibung zurückgenommen.

Mit Formularantrag vom 25.02.2011 hat der Bf abermals Antrag auf Ausschreibung seines Vertragsarztsitzes gestellt. Zur Sitzung des Zulassungsausschusses am 08.06.2011 lagen zwei Anträge von MVZ aus A-Stadt vor. Am 08.06.2011 beantragte der Bf die Vertagung seines Verfahrens. Nachdem einer Vertagung nicht zugestimmt wurde, nahm der Bf seinen Antrag auf Ausschreibung zurück. Im Juni 2011 hat der Bf einen neuerlichen Antrag auf Ausschreibung seines Vertragsarztsitzes gestellt. Die Veröffentlichung im Staatsanzeiger erfolgte am 08.07.2011 mit Ende der Bewerbungsfrist 15.07.2011 und Antragsfrist für den Antrag auf Zulassung am 29.07.2011. Zum Zeitpunkt der Sitzung des Zulassungsausschusses, Ärzte-Niederbayern, am 14.09.2011 lagen zwei Anträge von zwei MVZ aus A-Stadt auf Anstellung von Orthopäden im jeweiligen MVZ und ein Antrag auf Zulassung eines Orthopäden (Herr Dipl. med. N. S.) vor, die die Praxis des Bf an dessen Vertragsarztsitz fortführen wollten.

Mit Schreiben vom 30.08.2011 hat das MVZ am Standort W. S. 38, A-Stadt, mitgeteilt, dass eine Kaufpreiseinigung zwischen dem Bf und dem MVZ nicht vorliege. Das MVZ habe bereits im Frühjahr sowie im vergangen Herbst Kontakt aufgenommen, eine explizite Veräußerungsabsicht sowie die Nennung einer Verhandlungsgrundlage sei vom Bf ausdrücklich abgelehnt worden. Zur Verhandlung vor dem Zulassungsausschuss waren Vertreter der beiden sich bewerbenden MVZ erschienen, der Bf und Dipl. med. S. dagegen nicht.

Der Zulassungsausschuss hat mit Beschluss vom 14.09.2011, ausgefertigt am 27.09.2011 den Antrag des Dipl. med. S. sowie die Anträge der beiden MVZ abgelehnt. Im vorliegenden Fall sei von einem fortführungsfähigen Praxissubstrat nicht auszugehen. Zum einen wegen Ablaufs von über sechs Monaten nach Ende der Zulassung, zum anderen aufgrund des sich aufdrängenden Verdachts, dass beim Praxisabgeber der Wille zur Veräußerung seiner Praxis fehle. Nach Ablauf von sechs Monaten nach dem Ende einer Zulassung sei von einem fortführungsfähigen Praxissubstrat nicht mehr auszugehen, wenn es sich um eine Einzelpraxis handle. Im Falle einer Einzelpraxis könnten Ausschreibung und Nachbesetzung nur so lange erfolgen, als ein fortführungsfähiges Praxissubstrat noch vorhanden sei, d.h., dass der ausscheidende Vertragsarzt tatsächlich unter einer bestimmten Anschrift in nennenswertem Umfang vertragsärztlich tätig gewesen sei. Der Oberbegriff "nennenswerter Umfang" werde durch das BSG in der Weise konkretisiert, dass dieser den Besitz bzw. Mitbesitz von Praxisräumen, die Ankündigung von Sprechzeiten, die tatsächliche Entfaltung einer ärztlichen Tätigkeit unter den üblichen Bedingungen sowie das Bestehen der für die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit im jeweiligen Fachgebiet erforderlichen Praxisinfrastruktur in apparativ-technischer Hinsicht voraussetze. Die vom Zulassungsausschuss angenommene Frist von sechs Monaten nach dem Ende der Zulassung ergebe sich zwar nicht unmittelbar aus dem Gesetz oder einem gerichtlichen Urteil, stelle aber den Zeitraum dar, in dem mit hinreichender Sicherheit angenommen werden könne, dass ein...

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