Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende: Voraussetzung für die Annahme einer eheähnliche Gemeinschaft als Grundlage einer Bedarfsgemeinschaft. Berücksichtigung von polizeilichen Ermittlungen bei der Beurteilung des Vorliegens einer eheähnliche Gemeinschaft
Leitsatz (amtlich)
Unabhängig von der Vermutungsregelung in § 7 SGB II in Bezug auf das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft kommt es zunächst auf die objektiven Hinweistatsachen an. Dabei sind die polizeilichen Ermittlungen zu berücksichtigen.
Orientierungssatz
Einzelfall zur Beurteilung des Vorliegens einer eheähnliche Gemeinschaft bei einem Grundsicherungsempfänger (hier: eheähnliche Gemeinschaft bejaht).
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 17. August 2016 aufgehoben und der Antrag der Antragsteller auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
II. Die Beschwerde der Antragsteller wird zurückgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragsteller, Beschwerdeführer und Beschwerdegegner (Ast) begehren vom Antragsgegner, Beschwerdegegner und Beschwerdeführer (Ag) Leistungen nach dem SGB II im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.
Mit Bescheid vom 14.07.2015 bewilligte der Ag den Ast - der 1992 geborenen Ast. zu 1 und ihrer 2014 geborenen Tochter, der Ast zu 2 - Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.07.2015 bis einschließlich 30.06.2016.
Aufgrund einer anonymen Anzeige wegen Sozialmissbrauchs, wonach die Ast zu 1 seit Oktober 2015 mit Herrn S. (S.) in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebe und bei Herrn S. in N-Stadt, N-Straße 26, mit ihrer Tochter eingezogen sei, führte die Polizei Ermittlungen durch und stellte fest, dass die Ast die Wohnung in A-Stadt (mit einer monatlichen Bruttowarmmiete von 489,00 Euro) nicht mehr nutzten. Weiter wurde festgestellt, dass die Ast zu 1 auf ihrem Facebook-Account mit Herrn S. in "äußerst vertrauter Pose" zu sehen sei und die Ast zu 1 dort als Wohnort N-Stadt angegeben habe. Außerdem ermittelte die Polizei, dass die Ast zu 1 über insgesamt fünf Konten bei jeweils unterschiedlichen Kreditinstituten verfügt, die diese gegenüber dem Ag nicht alle angegeben hatte. Die Ast zu 1 hat sich im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen dahingehend eingelassen, dass S. nur ein guter "Bekannter" sei, bei dem sie nicht wohne. Die polizeilichen Ermittlungen sind inzwischen abgeschlossen und die Unterlagen wurden im August 2016 der Staatsanwaltschaft übergeben.
Am 09.06.2016 beantragten die Ast die Weitergewährung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab 01.07.2016. Änderungen hätten sich keine ergeben. S. sei ein Bekannter und sie würden nicht bei ihm wohnen.
Nach der Antragstellung am 09.06.2016 führte die Polizei am 15.06.2016 eine Hausdurchsuchung in den angeblich von den Ast bewohnten Räumlichkeiten in A-Stadt durch. Die Polizei teilte daraufhin dem Ag mit, dass nach dem Gesamteindruck die Wohnung einen unbewohnten Eindruck mache; es sei davon auszugehen, dass die Ast. nicht mehr dort wohnten.
Am Tage darauf, den 16.06.2016, wurde von der Polizei eine Wohnungsdurchsuchung bei Herrn S. durchgeführt. Auf das Klingeln hin öffnete die Ast zu 1, bekleidet mit einem Jogginganzug, die Haustüre. Die Ast zu 1 gab an, dass ihre Tochter im Obergeschoß schlafen würde. Herr S. war nicht zu Hause.
Mit Schreiben vom 21.06.2016 forderte der Ag die Ast auf, Unterlagen vorzulegen, u.a. bezüglich der Einkommens- und Vermögensverhältnisse von Herrn S. sowie den Mietvertrag für die Wohnung in N-Stadt .
Mit Posteingang beim Ag am 23.06.2016 legte die Ast zu 1 lediglich Kontoauszüge des einzigen, von ihr bei der Ag. bislang angegebenen Kontos vor. Weitere Unterlagen blieb sie mit dem Hinweis, Herr S. sei nur ein Bekannter, schuldig.
Mit Bescheid vom 25.07.2016 lehnte der Ag den Weiterbewilligungsantrag vom 09.06.2016 ab.
Am 01.08.2016 beantragten die Ast einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Augsburg. Die Ast zu 1 lebe mit Herrn S. in keiner Bedarfsgemeinschaft und die Sache sei besonders dringend, da sie nicht wisse, wie sie ihren Lebensunterhalt für sich und ihre Tochter bestreiten solle. Krankenversicherungsschutz sei notwendig. Obdachlosigkeit drohe.
Mit Beschluss vom 17.08.2016 verpflichtete das Sozialgericht Augsburg den Ag, den Ast von August 2016 bis längstens November 2016 monatlich 660,00 Euro als Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu zahlen.
Das Sozialgericht begründete die Verpflichtung des Ag damit, dass nach Ansicht des Gerichts offen sei, ob die Ast zu 1 mit Herrn S. in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebe. Außerdem sei offen, ob Herr S. finanziell in der Lage wäre, die Ast. zu unterstützen. Das Gericht gehe davon aus, dass die Ast bedürftig seien und der Ag ohnehin verpflichtet sei, den Ast - allerdings ohne die notwendige individuelle Zuordnung der Leistungen an die beiden Ast - Leistungen nach dem SGB II zu erbringen, nachdem auch die Wohnung von Herrn S. in deren örtlichen Zuständigkeitsberei...