Entscheidungsstichwort (Thema)
Hausarztvertrag. Vergütungsanspruch. Reduzierung des Fallwerts. Meistbegünstigungsklausel. Zurückbehaltungsrecht
Leitsatz (redaktionell)
Der Vergütungsanspruch für erbrachte Leistungen aus einem Hausarztvertrag verringert sich nicht automatisch wegen einer vertraglichen Meistbegünstigungsklausel. Beim Hausarztvertrag kann zur Begründung eines Zurückbehaltungsrechts nicht auf § 273 BGB zurückgegriffen werden, weil dem die Natur des Schuldverhältnisses entgegen steht.
Orientierungssatz
Parallelentscheidung zu dem Beschluss des LSG München vom 21.12.2011 - L 12 KA 62/11 B ER, der vollständig dokumentiert ist.
Normenkette
SGB V §§ 73b, 89, 75 Abs. 1 S. 3; SGB X § 61 S. 2; BGB § 273
Tenor
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 6. Juni 2011 wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragsgegnerin.
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin berechtigt ist, die nach dem "Vertrag zur Durchführung einer hausarztzentrierten Versorgung gemäß § 73 b SGB V" (Hausarztvertrag) am 13.12.2010 fällige Schlusszahlung für das Quartal 3/2010 um 16.179.057,23 € zu kürzen.
Die Beteiligten, der Bayerische Hausärzteverband e.V. und die AOK Bayern, sind Partner des Hausarztvertrages.
Nachdem durch Schiedsspruch für den Bereich der bayerischen Betriebskrankenkassen ein Vertrag zur hausarztzentrierten Versorgung mit einem Fallwert von 76 € festgesetzt worden war, teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller am 16.8.2010 mit, dass sie, falls keine Einigung erreicht werde, mit Wirkung ab 1.7.2010 eine Reduzierung des allgemeinen Fallwerts auf das Niveau der Mitbewerber, das heißt auf 76 €, vornehmen werde. Mit Schreiben vom 15.9.2010 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass sie sich nach dem Scheitern der Verhandlungen über die so genannte "Meistbegünstigungsklausel" in § 24 des Hausarztvertrages gezwungen sehe, den im Vertrag bestimmten Fallwert von maximal 84,09 € an das Niveau der Mitbewerber mit Wirkung ab dem 1.1.2010 anzupassen. Zwischenzeitlich sei nach Festsetzung durch die Schiedsperson mit Wirkung vom 1.1.2010 ein "Vertrag zur Durchführung der hausarztzentrierten Versorgung gemäß § 73 b SGB V" zwischen verschiedenen Betriebskrankenkassen und dem Antragsteller vereinbart worden. Nach § 10 Abs. 9 dieses Vertrages gelte für die Vergütung die Regelung, dass der finanzielle Rahmen von 76 € nicht überschritten werden solle. Nachdem beide Verträge die umfassende hausärztliche Versorgung der Versicherten vorsähen, lägen vergleichbare Vergütungstatbestände vor, so dass aus der Sicht der Antragsgegnerin die Voraussetzungen für die Anwendung der Meistbegünstigungsklausel nach § 24 des Hausarztvertrages erfüllt seien. Ab 1.1.2010 werde deshalb die Antragsgegnerin nur noch eine Fallwertobergrenze von 76 € gegen sich gelten lassen. Die Überzahlungen für das 1. und 2. Quartal 2010 werde sie mit der Schlussrechnung für das 2. Quartal, fällig am 15.9.2010, verrechnen. Gemäß dieses Schreibens behielt die Antragsgegnerin einen Teilbetrag von 37.851.631,66 € ein. Hiergegen wandte sich der Antragsteller mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Das Sozialgericht München gab diesem Antrag mit Beschluss vom 3. Dezember 2010 statt (S 39 KA 672/10 ER). Die Beschwerde wies das Bayerische Landessozialgericht mit Beschluss vom 17. Januar 2011 zurück (L 12 KA 123/10 B ER).
Für das Quartal 3/2010 stellte der Antragsteller am 23.11.2010 die Rechnung für die Schlusszahlung über 72.134.014,36 €, die am 13.12.2010 fällig war. Mit Schreiben vom 9.12.2010 erklärte die Antragsgegnerin, sie sehe sich wie bereits angekündigt weiterhin gezwungen, auch im Rahmen der Schlussrechnung für das Quartal 3/2010 den im Vertrag bestimmten Fallwert in Anwendung der so genannten "Meistbegünstigungsklausel" (§ 24 Hausärztevertrag) an das Niveau der Wettbewerber anzupassen. Aus der Schlussrechnung ergebe sich ein durchschnittlicher Fallwert von 82,25 €. Dieser sei an die Fallwertobergrenze von 76 € anzupassen, woraus sich ein Einbehalt von 16.179.057,23 € ergebe, in dem ein Kürzungsbetrag in Höhe von 265.527,27 € infolge zulässiger Rückrechnungen für die Vorquartale 1/2010 und 2/2010 enthalten sei.
Am 4.1.2011 beantragte der Antragsteller beim Sozialgericht München (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, den Kürzungsbetrag von 16.179.057,23 € der am 13.12.2010 fälligen Schlusszahlung an die Hausärztliche Vertragsgemeinschaft (HÄVG) auszuzahlen. Er trug vor, dass der Antrag zulässig sei, da auf die Durchführung eines Schiedsverfahrens verzichtet worden sei. Bezüglich des Betrags von 265.527,27 € für die Quartale 1 und 2/2010 sei ein Einbehalt ohnehin ausgeschlossen, wie das Bayerische Landessozialgericht im Beschluss vom 17. Januar 2011 entschieden habe. Im Übrigen sei die Meistbegünstigungsklausel nicht anwendbar, da der Hausarztvertrag mit den Betriebskrankenkassen im Wege eines Schiedsspruches festges...