Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung
Leitsatz (amtlich)
Probewohnen im Rahmen des Maßregelvollzugs schließt Leistungen nach dem SGB II nicht aus, wenn der Maßnahmeträger nicht mehr die Gesamtverantwortung für den Betroffenen innehat.
Normenkette
SGB II § 7 Abs. 4
Tenor
I. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 30.11.2018 abgeändert und der Antragsgegner und Beschwerdegegner verpflichtet, den Antragstellern und Beschwerdeführern im November 2018 jeweils 62,15 EUR, im Dezember 2018 jeweils 227,10 EUR und ab Januar 2019 bis zur Bestandskraft der Entscheidung des Antragsgegners in der Hauptsache, längstens aber bis Oktober 2019, jeweils monatlich 235,10 EUR vorläufig zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller und Beschwerdeführer zu sechs Siebteln zu erstatten.
III. Den Antragstellern und Beschwerdeführern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin B., B-Stadt, beigeordnet.
Gründe
I.
Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Bf) begehren vom Antragsgegner und Beschwerdegegner (Bg) im Wege der einstweiligen Anordnung Leistungen nach dem SGB II ab Oktober 2018.
Die 1964 geborene Bf zu 1) und der 1958 geborene Bf zu 2) sind ein vermögensloses verheiratetes Ehepaar. Für die gemeinsame, seit 01.06.2018 angemietete Wohnung mit 60 m² zahlen sie 320 EUR monatlich an Kaltmiete. Die monatliche Nebenkostenvorauszahlung beträgt insgesamt 100 EUR (70 EUR Heizung, 30 EUR Betriebskosten).
Die Bf zu 1) bezieht eine volle Erwerbsminderungsrente auf Zeit in Höhe von 659,89 EUR monatlich. Der Bf zu 2) befindet sich im Maßregelvollzug nach § 63 Strafgesetzbuch und erhält in diesem Zusammenhang ein Justiztaschengeld in Höhe von 112,32 EUR monatlich. Bis Oktober 2018 war der Bf zu 2) im offenen Vollzug erwerbstätig. Der letzte Lohn in Höhe von 1.173,12 EUR wurde dem Bf zu 2) am 12.10.2018 auf sein Konto gutgeschrieben.
Am 15.10.2018 beantragten die Bf beim Bg Leistungen nach dem SGB II.
Im Rahmen des Maßregelvollzugs befindet sich der Bf zu 2) seit 29.10.2018 im "Probewohnen" dergestalt, dass der Bf zu 2) fünf Nächte außerhalb der Klinik in der gemeinsamen Ehewohnung verbringt (Dienstag bis Sonntag) und zwei Nächte in der Klinik (Sonntagabend bis Dienstag).
Mit Bescheid vom 06.11.2018 lehnte der Bg Leistungen nach dem SGB II ab. Die Bf zu 1) sei wegen ihres Einkommens aus Erwerbsminderungsrente nicht hilfebedürftig. Der Bf zu 2) befinde sich im Maßregelvollzug und sei deshalb nach § 7 Abs. 4 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Dies gelte auch für das "Probewohnen". Hiergegen legten die Bf am 20.11.2018 Widerspruch ein, über den nach Aktenlage bislang noch nicht entschieden ist.
Am 20.11.2018 beantragten die Bf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Landshut dahingehend, dass der Bg ihnen ab Oktober 2018 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) "mindestens in Höhe der Regelleistung gemäß § 20 SGB II sowie angemessene Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 350 EUR" gewährt. Der Bf zu 2) stünde dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Das Probewohnen stelle keine stationäre Leistungserbringung im Sinne des § 7 Abs. 4 SGB II dar, da die Einrichtung die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung und Integration des Hilfebedürftigen fast vollständig an diesen selbst abgegeben habe.
Mit Beschluss vom 30.11.2018 lehnte das Sozialgericht Landshut einstweiligen Rechtsschutz ab. Die Bf zu 1) sei nicht hilfebedürftig.
Mit ihrem Renteneinkommen in Höhe von 659,89 EUR (bereinigt 629,89 EUR) könne die Bf zu 1) ihren Gesamtbedarf in Höhe von 626 EUR abdecken (anteilige Kosten der Unterkunft und Heizung - KdUH - in Höhe von 210 EUR sowie Regelbedarf für Alleinstehende in Höhe von 416 EUR, der sich daraus ergebe, dass der Bf zu 2) nicht Mitglied der Bedarfsgemeinschaft sei und damit auch nicht der geringere Partnerregelbedarf in Höhe von 374 EUR anzusetzen sei). Soweit wegen der Erhöhung des Regelbedarfs ab 01.01.2019 ein ungedeckter Bedarf bei der Bf zu 1) entstehe, solle diese einen neuen Antrag beim Bg ab diesem Zeitpunkt stellen.
Der Bf zu 2) sei nach § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen und damit nicht Mitglied der Bedarfsgemeinschaft. Beim Probewohnen handle es sich lediglich um eine Vollzugslockerung im Rahmen des Art. 18 BayMRVG. Auch beim Probewohnen in der eigenen Wohnung verbleibe es dem Grunde nach beim Ordnungsregime der Vollzugsanstalt. Durch den Umstand, dass der Bf zu 2) noch nicht aus dem Maßregelvollzug nach § 63 StGB entlassen sei, werde ihm die Tagesstruktur nach wie vor vorgegeben. Auch der Lebensunterhalt für die Zeit des Maßregelvollzugs sei ausschließlich im BayMRVG geregelt. Nach Art. 18 Abs. 1 Satz 3 BayMRVG seien die Kosten des Probewohnens Kosten des Maßregelvollzugs. Auch erhalte der Bf zu 2) J...