Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Antrag auf Abänderung der in der Beschwerdeinstanz zusprechenden einstweiligen Anordnung ist grundsätzlich zulässig.
2. Zwar fehlt § 86 b Abs. 2 SGG im Gegensatz zu § 86 b Abs. 1 Satz 4 SGG eine entsprechende ausdrückliche Bestimmung. Bei zusprechenden einstweiligen Anordnungen, die der formellen und materiellen Rechtskraft fähig sind, ist aber dem im Einzelfall bestehenden Bedürfnis nach Aufhebung oder Abänderung aus Gründen der Effektivität des Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) durch eine analoge Anwendung von § 86 b Abs. 1 Satz 4 SGG Rechnung zu tragen.
3. Im Rahmen des Abänderungsverfahrens kann aber die Rechtskraft der vorangegangenen Entscheidung nicht vollkommen außer Acht gelassen werden.
Tenor
I. Der gegen den Beschluss des Bayer. Landessozialgerichts vom 18. November 2009 (L 8 SO 164/09 B ER) gerichtete Antrag auf Abänderung wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Der Antrag, dem Antragsteller Prozesskostenhilfe zur Durchführung des Antragsverfahrens zu gewähren, wird abgelehnt.
Gründe
I.
Im Beschwerdeverfahren L 8 SO 164/09 B ER ging es um die Frage, ob der Antragsgegner (Ag.) im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten war, dem Antragsteller (Ast.) Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch - SGB - XII zu gewähren. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) gab der Beschwerde des Ast. und Beschwerdeführers statt und verpflichtet den Ag. mit Beschluss vom 18.11.2009, für den Zeitraum ab dem 01.12.2009 bis 28.02.2010 Leistungen der Grundsicherung nach § 41 SGB XII in Höhe der Leistungen des Bescheides der Arbeitslosenintegration Mühldorf a. Inn vom 13.05.2009 zu gewähren.
Mit zahlreichen Anträgen (Anhörungsrügen und Wiederaufnahmeklagen, L 8 SO 213/09 B ER RG, L 8 SO 23/10 B ER WA, L 8 SO 92/10 B ER RG, L 8 SO 124/10 B ER WA, L 8 SO 92/10 B ER RG) begehrte der Ast beim LSG eine Änderung des Beschlusses vom 18.11.2009. Alle Anträge wurden abgelehnt. Beginnend mit Schreiben vom 06.10.2010 wandte sich der Ast. erneut gegen den Beschluss vom 18.11.2009 und konkretisierte sein Vorbringen nach zahlreichen unleserlichen Schriftsätzen zuletzt mit beim LSG am 13.12.2010 eingegangenen Schriftsatz dahingehend, dass er eine Abänderung des Eilbeschlusses unter Berücksichtigung eines (nicht vorgelegten) Gutachtens vom 26.10.2010, das im Rahmen eines Rentenverfahrens (S 12 R 979/06) eingeholt worden war, begehrt mit dem Ziel höherer Leistungen für einen nicht näher konkretisierten Zeitraum. In diesem Gutachten sei ihm ein Reha-Bedarf sowie Erwerbsfähigkeit bescheinigt worden.
II.
Das LSG ist als Gericht der Hauptsache (L 8 SO 259/10) zur Entscheidung über den statthaften Abänderungsantrag zuständig. Denn das Abänderungsverfahren ist ein selbständiges Eilverfahren und keine bloße Fortsetzung des Anordnungsverfahrens. Das Abänderungsverfahren ist statthaft, da das Eilverfahren bereits rechtskräftig abgeschlossen ist. Der Antrag ist nicht an eine Frist gebunden (Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 9. Aufl., § 86b Rdnr. 20a).
Der Antrag auf Abänderung der in der Beschwerdeinstanz zusprechenden einstweiligen Anordnung ist grundsätzlich zulässig. Eine derartige Abänderungsmöglichkeit von Eilentscheidungen ist im SGG ausdrücklich zwar nur in § 86b Abs. 1 Satz 4 SGG für Anfechtungssachen vorgesehen; in § 86b Abs. 2 SGG, der den einstweiligen Rechtsschutz in Vornahmesachen regelt und insoweit § 123 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 und 5 der Verwaltungsgerichtsordnung ≪VwGO≫ nachgebildet ist (vgl. auch BT-Drucks. 14/5943 S. 25 ≪zu Nr. 34, § 86b≫), fehlt dagegen eine entsprechende Bestimmung. Dennoch besteht in Rechtsprechung und Schrifttum weitgehend Einigkeit darüber, dass auch bei zusprechenden einstweiligen Anordnungen, die der formellen und materiellen Rechtskraft fähig sind (vgl. hierzu LSG Baden-Württemberg vom 08.09.2010 - L 7 SO 3038/10 ER-B -≪m.w.N.≫), dem im Einzelfall bestehenden Bedürfnis nach Aufhebung oder Abänderung aus Gründen der Effektivität des Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes) Rechnung zu tragen ist (vgl. Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫ BVerfGE 92, 245, 260; Landessozialgericht ≪LSG≫ Berlin, Beschlüsse vom 10.07.2002 - L 15 B 39/02 KR ER - NZS 202, 670 und vom 26.10.2004 - L 15 B 88/04 KR ER -; Bay.LSG, Beschluss vom 16.07.2009 - L 8 SO 85/09 B ER - ≪beide juris≫; Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 9. Aufl., § 86b Rdnr. 45). Die mit dem Fehlen eines Abänderungsverfahrens im Bereich der einstweiligen Anordnung bestehende planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes ist über eine analoge Anwendung des § 86 b Abs. 1 Satz 4 SGG zu lösen (vgl. Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Auflage, Rdnr. 335).
Zweck des Abänderungsverfahrens ist es, dem Gericht die Möglichkeit zu geben, Veränderungen, die nach Eintritt der Rechtskraft der Eilentscheidung und vor rechtskräftigem Abschluss des Hauptsacheverfahrens eintreten, Rec...