Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialversicherung. Betriebsprüfung. Stichprobenprüfung. Erleichterung. nachträgliche Rücknahme bestandskräftiger Prüfbescheide. Beitragsforderungen aufgrund equal-pay-Ansprüche. keine aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs

 

Leitsatz (amtlich)

1. Betriebsprüfung: Stichprobenprüfungen können die nachträgliche Rücknahme bestandskräftiger Prüfbescheide nach § 45 SGB 10 erleichtern, aber nicht ersetzen.

2. Gegen Beitragsnachforderungen aufgrund equal-pay-Ansprüche nach der CGZP-Entscheidung des BAG vom 14.12.2010 - 1 ABR 19/10 = NZA 2011, 289 ist die aufschiebende Wirkung eines Widerspruches im Übrigen nicht herzustellen.

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 7. Februar 2012 abgeändert und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 29.12.2011 insoweit angeordnet, als Beitragsnachforderungen für die Zeit vom 1.12.2005 bis zum 31.12.2007 nachgefordert werden.

II. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

III. Die Beteiligten tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen je zur Hälfte.

IV. Der Streitwert wird auf 12.347,93 Euro festgesetzt.

 

Gründe

Gegenstand des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen eine Beitragsnachforderung in Höhe von 24.695,86 Euro. Die Antragstellerin begehrt die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 29.12.2011.

I.

Die Antragstellerin betreibt in der Rechtsform einer GmbH die Einstellung, den Einsatz und die Beschäftigung gewerblicher und kaufmännischer Arbeitnehmer als Zeitpersonal bei Betrieben und Unternehmen aller Art. Die Antragstellerin verfügt über eine Erlaubnis nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG). In dem hier streitgegenständlichen Zeitraum hatte die Antragstellerin etwa 1.700 Beschäftigte. Bis zum 31.3.2010 war die Antragstellerin Mitglied der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP). Die zwischen der CGZP und dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister geschlossenen Tarifverträge hatten Geltung für die zwischen der Antragstellerin und ihren Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmern geschlossenen Arbeitsverträge. Nach eigenen Angaben der Antragstellerin wurden an die Beschäftigten durchgehend übertarifliche Vergütungen bezahlt. Dennoch lagen die Entgelte der Mitarbeiter der Antragstellerin teilweise unter der Vergütung vergleichbarer Arbeitnehmer in den Betrieben der Entleiher.

Die Antragstellerin hatte zuletzt mit Bescheid vom 1.7.2008 das Ergebnis einer bei der Antragstellerin nach Stichproben durchgeführten Betriebsprüfung über den Prüfzeitraum vom 1.1.2004 bis zum 31.12.2007 festgehalten und eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 6.345,38 Euro festgesetzt. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

In der Zeit vom 19.12.2011 bis zum 22.12.2011 fand erneut eine Betriebsprüfung bei der Antragstellerin statt. Prüfzeitraum war die Zeit vom 1.12.2005 bis zum 31.12.2009. Anlass für die abweichend vom üblichen Prüfturnus vorgezogene Betriebsprüfung war eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG). Das BAG hatte mit Beschluss vom 14.12.2010 (1 ABR 19/10) die Feststellung der Vorinstanzen bestätigt, wonach die CGZP nicht tariffähig ist. Als letzte Tatsacheninstanz hatte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg mit Datum vom 7.12.2009 entschieden (23 TaBV 1016/09). Mit Bescheid vom 29.12.2011 stellte die Antragsgegnerin Beitragsansprüche infolge der Unwirksamkeit des angewandten Tarifvertrages fest und erhob eine Nachforderung in Höhe von insgesamt 24.695,86 Euro. Wegen der Unwirksamkeit der von der CGZP abgeschlossenen Tarifverträge gelte keine Ausnahme mehr von dem Grundsatz des "equal-pay" (gleicher Lohn für gleiche Arbeit). Die Leiharbeitnehmer, die auf der Basis eines solchen Tarifvertrages tätig waren, könnten von der Antragstellerin den Lohn beanspruchen, der im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer gezahlt wurde. Die Antragsgegnerin schätzte die geschuldeten Arbeitsentgelte und ging aufgrund der von der Antragstellerin übertariflich gezahlten Löhne von einer durchschnittlichen Lohndifferenz von 1,24 Prozent aus.

Mit Schreiben vom 11.1.2012 erhob die Antragstellerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 29.12.2011 und machte geltend, eine Tarifunfähigkeit der CGZP sei für die Zeit vor dem 7.12.2009 nicht geklärt. Die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 9.1.2012 (24 TaBV 1285/11) über die Feststellung der Tarifunfähigkeit auch am 29.11.2004, 19.6.2006 und am 9.7.2008 sei noch nicht rechtskräftig. Die Antragstellerin habe zudem auf die Wirksamkeit der Tarifverträge vertrauen dürfen. Erst mit dem Beschluss vom 14.12.2010 sei es zu einer Änderung der Rechtsprechung des BAG gekommen. Es bestehe ein Rückwirkungsverbot. Schließlich seien auch nach der Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 9.1...

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