Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorläufige Aussetzung der Vollstreckung. Existenzsichernde Leistungen

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine vorläufige Aussetzung der Vollstreckung nach § 199 Abs. 2 S. 1 SGG kommt bei vollständiger Vorenthaltung existenzsichernder Leistungen und offenem Ausgang der Hauptsache allein wegen des Risikos, ob der Kläger einer etwaigen späteren Rückzahlungsverpflichtung nicht nachkommen kann, nicht in Betracht.

 

Normenkette

SGG § 199 Abs. 2 S. 1

 

Tenor

I. Der Antrag der Beklagten, die Vollstreckung des Urteils des Sozialgerichts Würzburg vom 11.06.2008 vorläufig auszusetzen, wird abgelehnt.

II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Aussetzungsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

Der statthafte Aussetzungsantrag ist zulässig, erweist sich aber als unbegründet.

Gemäß § 199 Abs.2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann, wenn ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat, der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen. Die am 18.08.2008 eingelegte Berufung hat keine aufschiebende Wirkung. Ein Fall des § 154 SGG liegt nicht vor. Das Urteil des Sozialgerichts vom 11.06.2008 ist als Grundurteil auch der Vollstreckung fähig (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 8.Aufl., § 198 Rdnr. 3a).

Der Aussetzungsantrag ist jedoch nicht begründet. Die Anordnung nach § 199 Abs.2 SGG ist eine Ermessensentscheidung, die eine Interessenabwägung erforderlich macht (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8.Aufl. § 199 Rdnr.8). Dabei ist einerseits das Interesse an der Vollziehung, andererseits das Interesse des Schuldners daran, dass nicht vor endgültiger Klarstellung der Rechtslage geleistet wird, gegeneinander abzuwägen. Ein Antrag von Leistungsträgern nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) auf Aussetzung einer Leistung gewährenden erstinstanzlichen Entscheidung, der in der Rechtsmittelinstanz nach § 199 Abs.2 SGG gestellt wird, hat kaum Aussicht auf Erfolg, da den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts für existenzsichernde Leistungen hier besonderes Gewicht beikommt. Die Nachteile, die einem Leistungsträger durch die vorläufige Gewährung von Leistungen entstehen, überwiegen regelmäßig nicht die Nachteile, die einem Antragsteller bei Versagung der existenzsichernden Leistungen entstünden (Urteil des BayLSG vom 08.02.2006 Az: L 10 AL 17/06 ER, ebenso Beschluss des LSG Baden-Württemberg vom 24.06.2008 Az: L 7 AS 2955/08 ER).

Vorliegend ist kein Ausnahmefall zu erkennen. Durch die vollständige Vorenthaltung existenzsichernder Leistungen stehen gravierende Rechtsbeeinträchtigungen der Klägerin im Raum. Zwar erhält die Klägerin Pflegegeld für die Pflege ihrer Mutter, hingegen ist dies wegen der geringen Höhe nicht geeignet, den Regelbedarf zu decken. Die ungenügende Sicherung ihres Lebensunterhaltes überwiegt eindeutig die Nachteile, welche dem Beklagten dadurch entstünden, dass die Klägerin einer etwaigen späteren Rückzahlungsverpflichtung nicht nachkommen kann.

Ein Ausnahmefall kann auch nicht im Hinblick auf die Erfolgsaussichten der Berufung anerkannt werden. Eine Aussetzung käme nur dann in Betracht, wenn die Berufung offensichtlich Aussicht auf Erfolg hätte (BSG 12, 138). Ob die Unterhaltsvermutung des § 9 Abs.5 SGB II widerlegt ist, ist eine Frage der Beweiswürdigung. Dabei entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 128 Abs.1 Satz 1 SGG). Welche Anforderungen hierbei der Senat stellt und ob diese von der Klägerin erfüllt werden, ist offen. Die Aussetzung der Vollstreckung kommt daher nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar; er kann jederzeit aufgehoben werden (§ 199 Abs.2 Satz 3 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2145951

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