Entscheidungsstichwort (Thema)
Regelungsanordnung. Bestandskräftiger Verwaltungsakt. Überprüfungsantrag. Aufrechnung zur Tilgung eines Darlehens. Zeitliche Grenze. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit. Eilbedürftigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einer bindenden Hauptsacheentscheidung ist ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz unzulässig. Es gibt dann keine Rechtsposition, die bis zu einer bindenden Hauptsacheentscheidung vorläufig gesichert werden könnte.
2. Wenn für einen bestandskräftigen Bescheid ein Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X angestrengt wurde, kann ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wegen existenzsichernden Leistungen wieder zulässig werden, wenn der Überprüfungsantrag bei der Behörde gestellt wurde, die Dringlichkeit der Überprüfung dargelegt wurde und der Behörde eine ausreichende Bearbeitungsfrist eingeräumt wurde.
3. Mit dem Überprüfungsantrag wird ein Anspruch auf Rücknahme eines belastenden rechtswidrigen Bescheides verfolgt. Wenn der Eilantrag wieder zulässig wurde, ist im Rahmen einer Regelungsanordnung mit strengem Maßstab zu prüfen, ob ein Anordnungsanspruch auf Rücknahme des bestandskräftigen Ursprungsbescheids und ein dringender Anordnungsgrund hierfür bestehen. Es müssen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des überprüften Bescheids bestehen und eine besondere Dringlichkeit.
4. Diese Maßstäbe gelten auch für einstweiligen Rechtsschutz gegen einen Eingriffsverwaltungsakt (hier Aufrechnungsbescheid nach § 42a Abs. 2 SGB II).
Normenkette
SGG § 86b Abs. 1, 2 S. 2, § 77; SGB X § 44; SGB II §§ 39, 42a Abs. 2
Tenor
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 25. Februar 2014 wird zurückgewiesen.
II. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
III. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung gewährt und Rechtsanwalt Dr. P. beigeordnet.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt im Eilverfahren höheres Arbeitslosengeld II, indem sie sich im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens gegen eine Aufrechnung eines Darlehens für eine Mietkaution wendet.
Die 1988 geborene Antragstellerin bezieht laufend Arbeitslosengeld II vom Antragsgegner. Für ihre Mietwohnung hat sie einschließlich Heizkosten monatlich 642,- Euro zu bezahlen. Mit Bescheid vom 17.05.2013 wurden ihr bis einschließlich Mai 2014 Leistungen von monatlich 1024,- Euro (382,- Regelbedarf und 642,- Euro für die Wohnung) bewilligt.
Wegen der Mietkaution in Höhe von 1.440,- Euro kam es zu zwei Klageverfahren, in deren Rahmen am 06.03.2013 ein Vergleich geschlossen wurde, dass die Kaution als Darlehen übernommen wird. Mit Bescheid vom 12.04.2013 wurde das Darlehen gewährt und ab 01.05.2013 monatlich in Höhe von 10 % des Regelbedarfs aufgerechnet. Die Mutter der Antragstellerin erhob dagegen Widerspruch. Die Antragstellerin habe eine psychische Schwerbehinderung. Es seien regelmäßige Kosten für Behandlungen und Medikamente (alternative Behandlungsmethoden nach Polytoxikomanie infolge psychiatrischer Medikamente) zu tragen, die die Krankenkasse nicht übernehme. Es würden auch hohe Strom-, Telefon- und Internetkosten anfallen. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 18.06.2013 zurückgewiesen. Klage wurde nicht erhoben.
Ein Antrag auf eine besondere Leistung für Bekleidung wegen Hyperhidrose führte zur Bewilligung einer Erstausstattung für Bekleidung in Höhe von 440,- Euro (Bescheid vom 23.09.2013).
Ein erster gegen die Aufrechnung gerichteter Eilantrag vom 18.09.2013 blieb erfolglos (Sozialgericht München, Beschluss vom 08.10.2013, S 40 AS 2331/13 ER).
Mit Schreiben vom 25.11.2013 beantragte der Bevollmächtigte der Antragstellerin die Überprüfung der Aufrechnungsverfügung im Bescheid vom 12.04.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.06.2013. Die dauerhafte Absenkung des Existenzminimums sei nicht rechtmäßig. Dies wurde mit Überprüfungsbescheid vom 05.12.2013 abgelehnt. Auf den Widerspruch hin - die dauerhafte Unterschreitung des Existenzminimums sei nicht rechtmäßig - wurde die Aufrechnung für Mai, Juni und Juli 2013 aufgehoben, weil die Kaution erst im Juli 2013 ausbezahlt worden sei, und der Widerspruch im Übrigen zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 24.01.2014). Dagegen wurde am 14.02.2014 Klage erhoben (Az. S 51 AS 374/14).
Bereits am 05.12.2013 machte die Antragstellerin einen unabweisbaren laufenden besonderen Bedarf geltend. Zum einen habe sie erhöhte laufende Stromkosten "aufgrund von attestierter Erkrankung" und zum anderen bestehe ein Mehrbedarf wegen erhöhtem Bekleidungsbedarf wegen häufigem Waschen (400,- Euro halbjährlich). Hierzu legte sie ein ärztliches Attest vom 26.11.2013 vor, das ohne Begründung einen krankheitsbedingten Mehraufwand für Wasser, Strom, Heizung und Bekleidung benannte.
Mit Änderungsbescheid vom 13.12.2013 gewährte der Antragsgegner ab 01.12.2013 einen monatlichen Mehrbedarf von 66,66 Euro (halbjährlich 400,- Euro) und setzte die Erhöhung des Regelbedarfs auf 391,- Euro ab Januar 2014 u...