Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bedarfsgemeinschaft. Vorliegen ausreichender Anhaltspunkte für eine Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft

 

Leitsatz (amtlich)

Zum Vorliegen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft.

 

Orientierungssatz

1. Ein "Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt" iS von § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst c SGB 2 erfordert das Bestehen einer "Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft". Mithin bedarf es neben einem Zusammenleben auch einem "Wirtschaften aus einem Topf". Dies bedeutet, dass die Partner in "einer Wohnung" zusammenleben und die Haushaltsführung an sich sowie das Bestreiten der Kosten des Haushalts gemeinschaftlich durch beide erfolgen müssen (vgl BSG vom 23.8.2012 - B 4 AS 34/12 R = BSGE 111, 250 = SozR 4-4200 § 7 Nr 32).

2. Dies kann anzunehmen sein, wenn die Partner seit mehr als einem Jahr in einer Wohnung zusammenleben und es eine gemeinsame Haushaltskasse gibt, in die jeder Partner wöchentlich 35 € einzahlt, es immer wieder auch zu einem Aushelfen in finanziellen Schwierigkeiten gekommen ist, ferner die Abrechnung der monatlich anfallenden Kosten für Miete, Heizung, Strom, Telefon und Internet nicht genau, sondern überschlagsmäßig erfolgt und jeweils einer für beide gekocht bzw die Wohnungsreinigung übernommen hat.

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 26.04.2016 aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Streitig sind höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Hinblick auf die Annahme einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft.

Die von ihrem Ehemann getrennt lebende Antragstellerin (ASt) lebt seit 01.04.2013 zusammen mit Herrn K. N. (N.) in einer von ihm angemieteten Wohnung, für die nach der Vermieterbestätigung monatlich eine Gesamtwarmmiete von 520,56 € anfällt. Bereits bei einer Antragstellung im August 2013 gab die ASt N. als Mitglied ihrer Bedarfsgemeinschaft an. Man teile sich die Kosten und wirtschafte gemeinsam. Nachdem die Bewilligung von Alg II an die ASt und N. mit Bescheid vom 09.08.2013 abgelehnt worden war, legte die ASt dagegen Widerspruch ein. Eine Anrechnung von Einkommen des N. komme erst nach einem Zusammenleben von zwölf Monaten in Betracht. Der Ag half dem Widerspruch ab und bewilligte mit Bescheid vom 30.09.2013 Alg II für die Zeit vom 01.07.2013 bis 31.12.2013 an die ASt ohne Berücksichtigung einer Bedarfsgemeinschaft mit N.

Nachdem die ASt bis 29.02.2016 Arbeitslosengeld von der Agentur für Arbeit bezogen hatte, beantragte sie erneut beim Ag die Bewilligung von Alg II. Zu ihrer Bedarfsgemeinschaft zähle auch N. Gleichzeitig gab sie aber in der Anlage VE an, es bestehe keine gegenseitige Bank-/Kontovollmacht und jedes Haushaltsmitglied komme für seinen eigenen Bedarf auf. Die Unterkunftskosten würden von ihr zur Hälfte in bar an N. erstattet. Jedes Mitglied der Haushaltsgemeinschaft zahle wöchentlich 35 € in die Haushaltskasse. Nach den vorgelegten Lohnabrechnungen verdiente N. von November 2015 bis Januar 2016 durchschnittlich 1.542,75 € brutto (ohne Weihnachtsgeld). Die ASt übt seit Mai 2016 eine Tätigkeit als Haushaltshilfe mit einem Wochenlohn iHv 34 € aus.

Mit Bescheid vom 21.03.2016 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 12.05.2016 bewilligte der Ag vorläufig Alg II für die Zeit vom 01.03.2016 bis 31.08.2016 iHv 211,89 € (März 2016), 0 € (April 2016) bzw. 308,56 € monatlich (Mai bis August 2016) unter Zugrundelegung des Bestehens einer Bedarfsgemeinschaft der ASt mit N. Dabei legte er ein Bruttoeinkommen des N. iHv 1.500 € (1.200 € netto) und ein Einkommen der ASt iHv 150 € zugrunde. Den dagegen wegen der Annahme einer Bedarfsgemeinschaft und einer zu hohen Einkommensanrechnung eingelegten Widerspruch wies der Ag mit Widerspruchsbescheid vom 06.06.2016 zurück. Hiergegen ist nach Angaben des Ag Klage erhoben worden.

Die ASt hat beim Sozialgericht Nürnberg (SG) einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt und die vorläufige Bewilligung höherer Leistungen für Mai bis August 2016 unter Außerachtlassung des Einkommens des N. beantragt. N. sei zu keiner Unterstützung bereit. Sie habe keine Möglichkeit, Unterhaltsansprüche gegen ihn rechtlich durchzusetzen. Ihr Einzug sei unter Zweckmäßigkeitserwägungen erfolgt, um durch die gemeinsame Nutzung der Wohnung Kosten zu sparen. Man habe von Anfang an strikt getrennte Kassen gehabt, lediglich in eine Haushaltskasse zahle jeder 35 € wöchentlich ein. Hiervon würden Waschmittel und Lebensmittel gekauft. Kochen und Haushalt würden geteilt bzw. abwechselnd gemacht. Vollmachten, Vorsorgevollmachten oder Bezugsberechtigungen bestünden nicht. N. lehne es ab, sie auch nur in kleinen Dingen des Alltags finanziell zu unterstützen. Gegenseitig habe man sich keinerlei Geld geliehen. N. bestehe auf der vollständigen Zahlung des Mietanteils der ASt. Ein wechselsei...

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