Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Antragsauslegung. Rücknahme eines begünstigenden Dauerverwaltungsakts. nachgeschobene Leistungsversagung. aufschiebende Wirkung des Widerspruchs. kein Anwendungsbereich der Regelungsanordnung. Feststellungsantrag
Leitsatz (amtlich)
1. Auch im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes gilt die Dispositionsmaxime mit ihren Abwandlungen im sozialgerichtlichen Verfahren und einer Auslegungsmaxime entsprechend der Rechtsschutzgarantie des Art 19 Abs 4 GG, wonach der Rechtsschutz Suchende den Antrag stellen will, der ihm am besten zum Ziel verhilft.
2. In § 86b Abs 1 Nr 2 SGG wird dem Gericht dieselbe Befugnis eingeräumt, wie der Verwaltung nach § 86a Abs 2 Nr 5 SGG. Ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung bedeutet mehr als das für den Erlass des Verwaltungsakts erforderliche Interesse.
3. Wenn ein begünstigender Dauerverwaltungsakt zurückgenommen worden ist, geht die Regelung eines nachfolgenden versagenden Leistungsbescheides über den früher bewilligten Leistungszeitraum ins Leere. Andernfalls könnte der Träger der Sozialhilfe die Schutzvorkehrungen des § 86a SGG jederzeit durch Nachschieben eines einfachen Versagungsbescheides aushebeln.
4. Bei Zweifeln ist ein Feststellungsantrag zulässig, obwohl ein bereits erhobener Widerspruch aufschiebende Wirkung hat, insbesondere beim Umstand, dass die Verwaltung sich nicht an die aufschiebende Wirkung hält.
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts München vom 16. Juli 2009 abgeändert. Es wird festgestellt, dass der Widerspruch gegen den Bescheid vom 09. Juli 2009 betreffend die Aufhebung ab 01. Juli 2009 aufschiebende Wirkung hat.
II. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
III. Dem Antragsteller sind seine außergerichtlichen Kosten von der Antragsgegnerin zur Hälfte zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um den Entzug von Leistungen der Grundsicherung für Erwerbsunfähige nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) ab dem 01.07.2009 sowie die Rücknahme und Rückforderung für das erste Halbjahr 2009.
Der 1964 geborene Antragsteller und Beschwerdeführer (Ast) bezog vom 01.01. bis 30.06.2009 Leistungen nach dem SGB XII. Die Leistung war von der Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin (Ag) bis längstens 31.12.2009 bei unveränderten Verhältnissen mit Bescheid vom 04.03.2009 als Darlehen bewilligt, weil der Wert und die Verwertung seines umfangreichen Immobilienbesitzes ungeklärt war. Für die Monate Januar bis März finden sich Berechnungsbögen vom 27.04.2009 in den Akten der Ag. Dieser Bewilligung sind die Verfahren S 42 SO 539/08 ER sowie S 52 SO 50/09 ER vorausgegangen. Damals wurde mit Beschluss vom 08.01.2009 eine entsprechende Leistung bis zum 28.02.2009, längstens bis zur bestandskräftigen Entscheidung über den Leistungsantrag vom 27.11.2008 gewährt. Dieser Beschluss erfuhr seine Bestätigung durch den Beschluss des Bayer. Landessozialgerichts vom 29.01.2009 (Az. L 8 SO 5/09 B ER).
Am 18.06.2009 erlangte die Ag Kenntnis von einem weiteren Konto des Ast bei der D. Bank in D.. Die D. Bank erteilte nach Aufforderung durch die Ag eine Auskunft, wonach der Ast über ein Tagesgeldkonto mit der Nr. 0264970853/TG mit einem Saldo zum 19.06.2009 von 28.222,50 Euro verfügt. Ausweislich des Antrags auf Kontoeröffnung vom 07.01.2002 hatte der Ast das Konto selbst eröffnet. Der Ast teilte auf Anhörung am 30.06.2009 mit, von dem Konto nichts gewusst zu haben.
Eine anlässlich einer Vorsprache am 30.6.2009 von der Ag. angestrebte Abtretung des genannten Kontos zur Absicherung der darlehensweise gewährten Leistungen ist nicht geglückt. Die Ag. leitete daraufhin den Rückzahlungsanspruch gegen die D.-Bank mit Schreiben vom 29.06.2009 in Höhe der bereits erbrachten Soziahilfeleistungen über. Hiervon wurde der Ast in Kenntnis gesetzt.
Der Antragsteller wandte sich bereits am 06.07.2009 an das Sozialgericht München (SG), um weiterhin ab Juli 2009 von der Antragsgegnerin Hilfe zum Lebensunterhalt zu erhalten.
Mit Bescheid vom 09.07.2009 stellte die Ag ihre Leistungen nach dem 3. Kapitel SGB XII ein und hob unter Bezugnahme auf das Vermögen bei der D.-Bank den "Bescheid vom 27.04.2009" ab dem 01.07.2009 auf.
Mit Bescheid vom 10.07.2009 erklärte die Ag den "Entscheid der Landeshauptstadt A-Stadt über die darlehensweise Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt vom 04.03.2009" sowie Folgebescheide für die Zeit vom 01.01.2009 bis zum 31.12 2009 für rechtswidrig und nahm diese für die Zeit vom 01.01. bis 30.06.2009 zurück (Ziff. 1). Den rechtmäßigen Leistungsbetrag stellte die Beklagte mit null Euro fest (Ziff. 2) und forderte Erstattung von 4.196,96 € (Ziff. 3). Für diese Verfügungen ordnete die Ag die sofortige Vollziehung an (Ziff. 4 des genannten Bescheides).
Mit Bescheid vom 09.07.2009 lehnte die Antragsgegnerin Hilfe zum Lebensunterhalt ab 01.07.2009 ab. Dabei nahm sie Bezug auf den am 06.07.2009 beim SG gestellten Antrag der Ag, der ...