Entscheidungsstichwort (Thema)

Vergütungsanspruch eines Sachverständigen. Beweislast für den fristgerechten Eingang der Rechnung beim Gericht. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Formfreiheit des Wiedereinsetzungsantrags. Glaubhaftmachung des Wiedereinsetzungsgrundes. Beweiswürdigung. Beschwerde der Staatskasse. Sozialgerichtliches Verfahren: Beginn der Drei-Monats-Frist für den Vergütungsantrag eines Sachverständigen. Beweislast für den fristgerechten Eingang der Rechnung. Wiedereinsetzung auf Antrag. Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrundes

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein auf einen Wiedereinsetzungsantrag zurückgehender gerichtlicher Beschluss des Inhalts, dass der Vergütungsantrag für ein Gutachten fristgerecht gestellt und daher mangels Fristversäumung eine Wiedereinsetzung überhaupt nicht erforderlich sei, stellt eine auf die Frage der Fristgerechtheit des Vergütungsantrags reduzierte richterliche (Teil )Kostenfestsetzung gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 JVEG dar. Dagegen ist eine Beschwerde der Staatskasse statthaft.

2. Die 3 Monats Frist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG beginnt wie bei Gutachten gem. § 106 SGG auch bei Gutachten gem. § 109 SGG mit dem Eingang des Gutachtens bei Gericht zu laufen.

3. Der Eingang der Rechnung des Sachverständigen für das von ihm erstellte Gutachten innerhalb der 3 Monats Frist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG muss im Vollbeweis nachgewiesen sein. Die Nichterweislichkeit geht nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast zu Lasten des Sachverständigen.

4. § 2 Abs. 2 JVEG sieht nur eine Wiedereinsetzung auf Antrag vor.

5. Die 2 Wochen Frist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG gilt auch für die Glaubhaftmachung des Wiedereinsetzungsgrundes.

6. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG gebietet es, von einer Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrundes im Rahmen der Darlegungslast eines Antragstellers schon dann auszugehen, wenn ein Antragsteller im Rahmen seines Wiedereinsetzungsantrags plausibel einen nach der Lebenserfahrung naheliegenden Sachverhalt darstellt, der eine Wiedereinsetzung begründet.

7. Die verfassungsrechtlich gebotene weite Auslegung des Begriffs der Glaubhaftmachung im Rahmen der Darlegungslast verlangt ein Korrektiv, um Missbrauch zu vermeiden. Das Gericht hat daher in einem zweiten Schritt die Frage zu prüfen, ob es möglicherweise erst nach weiterer Sachprüfung einen Wiedereinsetzungsgrund tatsächlich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für gegeben hält.

 

Normenkette

JVEG § 2 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 1, Abs. 2 Sätze 1, 3, § 4 Abs. 1 S. 1, Abs. 3; SGG §§ 109, 128 Abs. 1 S. 1; ZPO § 294; GG Art. 19 Abs. 4

 

Tenor

I. Der Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 30. Juli 2013 wird aufgehoben.

II. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Vergütung für das Gutachten vom 18.11.2012 (Rechnung vom 14.01.2013) wird abgelehnt.

 

Gründe

I.

Streitig ist, ob der Antragstellerin und Beschwerdegegnerin die Vergütungsforderung für ein von ihr im Auftrag des Gerichts erstelltes Gutachten zu spät geltend gemacht hat und ob ihr für den Fall der Verfristung Wiedereinsetzung gemäß § 2 Abs. 2 Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) zu gewähren ist.

In dem beim Sozialgericht Augsburg unter dem Aktenzeichen S 2 R 1221/11 geführten rentenrechtlichen Klageverfahren erstellte die Beschwerdegegnerin, die vom dortigen Kläger gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) benannt worden war, ein internistisch-pneumologisches Gutachten. Das auf den 18.11.2012 datierte Gutachten ging am 17.01.2013 ohne Begleitschreiben beim SG ein. Der Eingang einer Rechnung der Beschwerdegegnerin ist in diesem Zusammenhang nicht vermerkt.

Mit Telefax vom 03.07.2013 wurde dem SG eine Rechnung vom 14.01.2013 zum Gutachten vom 18.11.2012 übersandt. Anlass für dieses Telefax war - so die Bevollmächtigten der Beschwerdegegnerin im Schreiben vom 10.10.2013 auf Nachfrage des Senats - ein Anruf des SG in der Praxis der Beschwerdegegnerin am 03.07.2013, bei dem - so die Bevollmächtigten - mitgeteilt worden sei, dass bei Gericht noch keine Rechnung für das Gutachten vorliege.

Mit Schreiben vom 05.07.2013 teilte der Kostenbeamte des SG der Beschwerdegegnerin mit, dass die Rechnung für das Gutachten erst am 03.07.2013 eingegangen sei und daher wegen der dreimonatigen Frist des § 2 Abs. 1 JVEG der Anspruch erloschen sei.

Über die Ablehnung der Vergütung hat sich die Beschwerdegegnerin telefonisch am 08.07.2013 beschwert. Die Rechnung - so die Beschwerdegegnerin bei diesem Telefonat - sei laut ihrer EDV am 14.01.2013 erstellt und zusammen mit dem Gutachten an das SG geschickt worden. Da in der Sache des Begutachteten weitere Gutachten für andere Kammern des SG erstellt worden seien, habe sie mit einer Mahnung gewartet. Sie sei sich sicher, die Rechnung zusammen mit dem Gutachten versandt zu haben. Es sei auch möglich, dass die Rechnung auf dem Weg zum Gericht oder dort verloren gegangen sei. Das SG hätte sie auf eine eventuell fehlende Rechnung aufmerksam machen müssen. Sie bitte um nochmalige ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge