Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Hilfsmittelmittelversorgung. Kostenerstattung. Genehmigungsfiktion gem § 13 Abs 3a SGB 5. Sachleistungsanspruch. Kostenerstattungsanspruch. Ausnahmetatbestand des § 13 Abs 3a S 9 SGB 5 für Leistungen der medizinischen Rehabilitation. verfahrensrechtliche Aufhebung der fingierten Genehmigung. sozialgerichtliches Verfahren. Einbeziehung des die Fiktion zurücknehmenden Bescheides nach § 96 Abs 1 SGG. Elektrorollstuhl. Hinreichend bestimmter Antrag. Leistungskatalog. Subjektive Erforderlichkeit. Medizinische Notwendigkeit. Ermessensfehler
Leitsatz (amtlich)
1. Der Eintritt der Genehmigungsfiktion gem § 13 Abs 3a S 6 SGB V führt nicht nur zu einem Kostenerstattungsanspruch für eine selbstbeschaffte Leistung, sondern begründet auch einen Sachleistungsanspruch zu Gunsten des Berechtigten.
2. Der Ausnahmetatbestand des § 13 Abs 3a S 9 SGB V (Leistungen der medizinischen Rehabilitation) ist eng auszulegen und erfasst Hilfsmittel iS des § 33 SGB V in der Regel nicht.
3. Der Sinn und Zweck des § 96 Abs 1 SGG verlangt eine Einbeziehung des die Fiktion zurücknehmenden Bescheides in das Verfahren über die Kostenerstattung bzw den Sachleistungsanspruch.
Orientierungssatz
1. Der Ausschlusstatbestand des Satzes 9 des § 13 Abs 3a SGB 5 steht alleine der Anwendbarkeit des Satzes 7 (Kostenerstattung), nicht aber der des Satzes 6 (Sachleistungsanspruch) entgegen.
2. Ansatzpunkt für die Rücknahme oder den Widerruf einer fingierten Leistungsgenehmigung (§§ 45, 47 SGB 10) ist allein die fingierte Genehmigung, nicht die Genehmigungsfiktion an sich. Entscheidend ist, ob eine nachträgliche Beseitigung des fingierten Verwaltungsaktes möglich ist, zB wenn ein tatsächlich ergangener Verwaltungsakt mit einem entsprechenden bewilligenden Inhalt rechtswidrig ergangen und daher rücknehmbar wäre (vgl SG Speyer vom 18.11.2016 - S 19 KR 329/16; entgegen BSG vom 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R = SozR 4-2500 § 13 Nr 33).
Normenkette
SGB V § 13 Abs. 3a, § 33 Abs. 1 S. 1, § 12 Abs. 1; SGB IX § 26 Abs. 2 Nr. 6; SGB I § 2 Abs. 2; SGB X §§ 45, 47; VwVfG § 42a; SGG § 54 Abs. 1, 2 S. 2, Abs. 5, § 96 Abs. 1
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 24.09.2015 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte zur Sachleistung eines Elektrorollstuhls B 500 des Herstellers Otto Bock verurteilt wird.
II. Der Bescheid der Beklagten vom 03.12.2015 wird aufgehoben.
III. die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers auch der Berufung.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Versorgung des Klägers mit dem Hilfsmittel Elektrorollstuhl Modell B500 Otto Bock.
Der 1958 geborene Kläger ist gesetzlich krankenversichertes Mitglied der Beklagten. Er leidet an arterieller Hypertonie mit femoropoplitealer Bypass OP 2006, an Aorten-Verschlusskrankheit sowie peripherer arterieller Verschlusskrankheit jeweils mit Stent-Versorgung, Oberschenkelamputation Januar 2012, an einer HIV-Infektion Stadium A2 (Erstdiagnose 2009), an Lues Stadium II, an Niereninsuffizienz Stadium IV sowie an Hyperurikämie.
Am 21.11.2014 verordnete ihm die behandelnde Fachärztin für Allgemeinmedizin B. G., A-Stadt, einen "Elektrorollstuhl". Ausweislich der Beklagtenakte ging ein entsprechender Kostenvoranschlag der als Hilfsmittelerbringer zugelassenen Firma R. GmbH in A-Stadt über eine Fallkostenpauschale von 3.199,30 Euro zusammen mit der ärztlichen Verordnung und am 01.12.2014 bei der Beklagten ein.
Mit Schreiben vom 08.12.2014 übersandte die Beklagte dem Kläger einen Arztfragebogen mit der Bitte, diesen von seinem Arzt ausfüllen zu lassen. Die Krankenkassen müssten bei jedem Antrag prüfen, inwiefern die Voraussetzungen für eine Leistungserbringung (Gehunfähigkeit bzw. stark eingeschränkte Gehfähigkeit, Benutzung handgetriebener Rollstühle aufgrund der Behinderung nicht mehr möglich) vorliegen. Einen Hinweis auf die Fristen des § 13 Abs. 3a SGB V enthielt das Schreiben nicht. Am 12.12.2014 erstellte die Firma R. GmbH einen zweiseitigen Erprobungsbericht mit dem Elektrorollstuhl Modell B500 Otto Bock, welcher per Fax am 15.12.2014 bei der Beklagten einging.
Als nächstfolgender Aktenvorgang sind zwei Schreiben der Beklagten vom 28.01.2015 dokumentiert, mit welchen diese der Firma R. GmbH sowie dem Kläger mitteilte, sie habe auf eine Anfrage von der Allgemeinmedizinerin G. bisher keine Antwort erhalten, weshalb der Antrag noch nicht bearbeitet werden konnte. Einen Hinweis auf die Nichteinhaltung der Fristen des § 13 Abs. 3a SGB V enthielt das Schreiben nicht.
Am 04.02.2014 erstellte die Allgemeinmedizinern G. den angeforderten ärztlichen Prüfbericht. Am 06.02.2015 veranlasste die Beklagte eine Prüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK). In der Stellungnahme vom 10.02.2015 führte dieser aus, dass eine Versorgung wie bisher mit handbetriebenem Krankenfahrstuhl sowie mit elektrischem Zusatzantrieb (E-Fix) medizinisch ausreichend sei. Mit Beschei...