Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung: Versicherungsschutz eines Gleitschirm- und Drachenfluglehrers
Leitsatz (amtlich)
1. In der gesetzlichen Unfallversicherung versicherte Verrichtungen eines selbständig tätigen, kraft Satzung pflichtversicherten Unternehmers.
2. Hier: Versicherungsschutz eines Gleitschirm- und Drachenfluglehrers bei einem Flug mit einem Speedrider zu Demonstrations- bzw. Werbezwecken.
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 18. März 2014 sowie der Bescheid der Beklagten vom 19. Juli 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2012 aufgehoben und festgestellt, dass es sich bei dem Unfall des Klägers vom 23. November 2008 um einen Arbeitsunfall handelt.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten in vollem Umfang zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger und Berufungskläger begehrt die Feststellung, dass es sich bei dem Ereignis vom 23. November 2008 um einen Arbeitsunfall im Sinne von § 8 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) handelt.
Der 1962 geborene Kläger war seit Juni 2006 als selbständiger Gleitschirm- und Drachenfluglehrer sowie Ski- und Snowboardlehrer tätig. Ab 18. November 2008 befand er sich gemeinsam mit mehreren Bekannten, bei denen es sich um langjährige Flugschüler sowie ausgebildete Piloten handelte, auf einer für die Dauer von zehn Tagen geplanten Reise in H. (Spanien); der Rückflug war für den 29. November 2008 vorgesehen. Während der Reise verunglückte der Kläger am 23. November 2008, als er versuchte, mit einem "Speedrider" von einem Startplatz in Richtung Strand zu fliegen. Dabei erlitt er schwere Verletzungen im Bereich des Kopfes (Schädel-Hirn-Trauma mit Frakturen und Kontusionsblutungen), weswegen er bis Ende Januar 2009 in verschiedenen Einrichtungen stationär behandelt wurde.
Ende März 2010 beantragte der Kläger bei der Beklagten und Berufungsbeklagten eine Unternehmerpflichtversicherung für seine Tätigkeit als Luftfrachtführer und Fluglehrer (Gleitschirm- und Drachenfluglehrer). Die Frage, ob sich im Unternehmen bereits Unfälle ereignet hätten, hatte der Kläger damals verneint. Die Beklagte stellte mit Zuständigkeits- und Veranlagungsbescheid vom 13. April 2010 einen Beginn der Versicherung rückwirkend ab 1. Juni 2006 fest; es handelt sich um eine Pflichtversicherung kraft Satzung. Versichert sind gewerbliche Passagierflüge sowie die Tätigkeit als Gleitschirm- und Drachenfluglehrer; nicht mitumfasst ist die Tätigkeit als Snowboard- und Skilehrer.
Mit Unfallanzeige vom 17. Juni 2010 zeigte der Kläger den Unfall vom 23. November 2008 bei der Beklagten an. Da er im Winter 2009 Speedriding habe anbieten wollen, habe er seinen Speedrider nach Spanien mitgenommen, um das zukünftige Training und die Möglichkeiten der Schulung auf diesem Gerät zu erproben sowie das notwendige Ausbildungskonzept auszuarbeiten. Dieses Angebot sollte als Ergänzung für seine Flugschule dienen, um Umsatzeinbußen im Winter auszugleichen und die unternehmerische Tätigkeit auf diesen Bereich auszudehnen. Eigentlich sei ein Speedrider dazu gedacht, mit Skiern die Piste hinabzufahren und kleine Sprünge durchzuführen. Auf Nachfrage der Beklagten ergänzte der Kläger weiter, er habe zum Saisonabschluss eine u.a. von ihm organisierte und betreute Reise nach H. durchgeführt. Diese sei nicht offiziell ausgeschrieben worden, um den Rahmen klein zu halten. Die Teilnehmer hätten die Reise über ihn gebucht; die Buchungen seien mündlich erfolgt. Auf der Reise habe er die Teilnehmer im Tandemflug und im Streckenfliegen aus- und fortbilden wollen. Die Kosten seien von den Teilnehmern selbst getragen worden. Vor der Reise nach Spanien habe er bereits erste Erfahrungen mit dem Speedrider gesammelt. Vor dem Unfall habe er den Speedrider an der Steilküste ausprobiert, sei dann aber ca. 4 m vor dem Strand ins Wasser gefallen, da er den Gleitwinkel überschätzt habe. Am Unfalltag habe er versucht, vom Startplatz in H. zum Strand runter zu riden. Da er sich bereits sehr früh im Rahmen der Reise verletzt habe, habe er darauf verzichtet, Rechnungen zu schreiben. Er sei froh, dass die Teilnehmer keine Schadensersatzansprüche geltend gemacht hätten.
Mit Bescheid vom 19. Juli 2012 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 23. November 2008 als Arbeitsunfall ab. Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung könnten nicht gewährt werden. Es habe nicht belegt werden können, dass es sich bei der Reise um eine Betriebsreise gehandelt habe. Zum konkreten Unfallzeitpunkt habe der Kläger außerdem keinen Flug mit dem Gleitschirm unternommen und Freunde oder Kollegen begleitet oder betreut, sondern einen Speedrider getestet. Es sei nicht zu erkennen, inwieweit der Speedridingversuch eine dem Unternehmen dienende Tätigkeit gewesen sei. Nach den Ermittlungen sei das Gelände für den Wintersport Speedriding nicht geeignet. Es sei...