Entscheidungsstichwort (Thema)

Kassenärztliche Vereinigung. Rechtmäßigkeit der Gebührenerhebung für erfolglose Widerspruchsverfahren durch die Satzung. keine Kostenfreiheit im Sozialverwaltungsverfahren. verdrängende Wirkung einer Norm. kein Ausschluss der verfassungsmäßigen Rechtsschutzgarantie

 

Orientierungssatz

1. § 81 Abs 1 S 1 Nr 5 SGB 5 erlaubt auch die Gebührenerhebung (vgl LSG Stuttgart vom 1.9.2004 - L 5 KA 1529/03).

2. Soweit die Satzung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern in § 24 Abs 3 für erfolglose Widerspruchsverfahren die Erhebung von Gebühren vorsieht, überschreitet sie diese Ermächtigung nicht.

3. Die Ermächtigungsnorm des § 81 Abs 1 S 1 Nr 5 SGB 5 ist eine abweichende Regelung iS des § 37 S 1 SGB 1. Daher schließt § 64 Abs 1 SGB 10 die Erhebung einer Widerspruchsgebühr nicht aus.

4. Verdrängende Wirkung kommt einer Norm dann zu, wenn sich aus ihrem Sinn und Zweck bei Berücksichtigung der zugrunde liegenden Interessenbewertung ergibt, dass sie die von ihr erfassten Sachverhalte eigenständig und abweichend regeln will und ihr insofern eine eigene, abschließende Regelung zu entnehmen ist (vgl BSG vom 24.8.1994 - 6 RKa 20/93 = SozR 3-1300 § 45 Nr 22) oder sich Abweichungen aus dem Sinnzusammenhang ergeben, also bei abweichenden Strukturprinzipien.

5. Eine moderate Widerspruchsgebühr von 100 Euro schließt den Rechtsschutz iS von Art 19 Abs 4 GG nicht aus.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 06.02.2013; Aktenzeichen B 6 KA 2/12 R)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 14. Juli 2009 wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, inwieweit die Beklagte berechtigt ist, eine Widerspruchsgebühr von 100 € bei Erfolglosigkeit des Widerspruchsverfahrens zu erheben.

Die Klägerin ist zugelassene Vertragsärztin. Gegen den Honorarbescheid für das Quartal 2/2005 legte sie Widerspruch ein. Dieser wurde mit Widerspruchsbescheid vom 14.3.2007 zurückgewiesen, wobei in Ziffer 2 des Bescheides eine Widerspruchsgebühr von 100 € festgesetzt wurde.

Gegen diese Festsetzung klagte die Klägerin beim Sozialgericht München (SG). Sie führte aus, dass durch § 64 Abs. 1 SGB X die Kostenfreiheit des Verfahrens gewährleistet und damit die Erhebung einer Widerspruchsgebühr ausgeschlossen sei. Eine Kompetenz zur Erhebung von Gebühren ergebe sich auch nicht aus § 81 Abs. 1 Nr. 5 SGB V.

Mit Urteil vom 14.7.2009 wies das SG die Klage ab und ließ wegen der grundsätzlichen Bedeutung die Berufung zu. Gemäß § 37 SGB I könne von den Normen des SGB X durch spezielle Regelungen in den anderen Büchern des Sozialgesetzbuchs abgewichen werden. § 81 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB V sei entsprechend auszulegen.

Die Klägerin legte Berufung ein und trug vor, die Beklagte wolle lediglich einen Teil ihrer Gemeinkosten auf die Berufungsklägerin abwälzen. Jedenfalls könne für die Durchführung und Erledigung von originären Aufgaben der Kassenärztlichen Vereinigungen keine Gebühr erhoben werden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 14.7.2009 und den Widerspruchsbescheid vom 14.3.2007 in Ziffer 2 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Sie trägt insbesondere vor, dass § 81 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB V eine Ermächtigung zum Erlass von Abgabensatzungen enthalte, die als Spezialregelung auch entgegen § 64 Abs. 1 SGB X die Erhebung von Gebühren erlaube. Es handle sich insoweit um eine Sonderregelung im Sinne von § 37 S. 1 SGB I.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Beklagtenakte und die Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die vom Sozialgericht München zugelassene Berufung ist unbegründet. Die Klägerin wird durch die Nummer 2 des Widerspruchsbescheides vom 14.3.2007 nicht in ihren Rechten verletzt. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Damit war die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Auferlegung einer Widerspruchsgebühr von 100 € ist ein belastender Verwaltungsakt. Nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes als wesentlichem Element des Rechtsstaatsprinzips bedarf diese Belastung einer Rechtsgrundlage.

a. Rechtsgrundlage der Widerspruchsgebühr ist § 1 Abs. 1 Buchst. b der Gebührenordnung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (GO) in Verbindung mit Abschnitt II Nummer 1 der Anlage zur GO.

Die Gebührenordnung ist formell und materiell rechtmäßig. Sie beruht auf § 24 Abs. 3 der Satzung der Beklagten als Ermächtigungsnorm. Danach kann die Beklagte für Widerspruchsverfahren, soweit sie nicht erfolgreich sind, Gebühren erheben, wobei die Gebührensätze nach dem Verwaltungsaufwand (Kostendeckungsprinzip) zu bemessen sind. Von dieser Ermächtigung hat die Vertreterversammlung beim Erlass der Gebührenordnung vom 1.7.2005 durch Beschluss vom 20.6.2005 Gebrauch gemacht.

§ 24 Abs. 3 der Satzung der Beklagten verstößt seinerseits nicht gegen höherrangiges Recht. Die Satzungsermächtigung, mit der der Beklagten als Körperschaft öffentlich...

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