Entscheidungsstichwort (Thema)
Erziehungsgeldanspruch. Einkommensprognose. Verbindlichkeit der Verwaltungsentscheidung. Berücksichtigung von Tatsachen, die vor der Verwaltungsentscheidung eingetreten sind und erstmals in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht werden
Orientierungssatz
1. Der Grundsatz, wonach Grundlage der Einkommensprognose der Verwaltung gemäß § 6 BErzGG nur die bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens, also spätestens bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides erkennbaren Umstände sind, kann nicht dazu führen, dass eindeutige Tatsachen (hier: niedrigeres Einkommen wegen unbezahltem Urlaub), die vor der Entscheidung der Verwaltung eingetreten sind, nur bis zum Ende des Verwaltungsverfahrens geltend gemacht werden können.
2. Die Einkommensschätzung gemäß § 6 BErzGG und der damit verbundene, gerichtlich nicht mehr zu überprüfende Beurteilungsspielraum umfasst nicht die Tatsachen, die bereits eingetreten sind, sondern betrifft die Würdigung, die aus den Tatsachen geschlossen wird. Bei dieser Würdigung besteht die Einschätzungsprärogative, nicht jedoch bei der Festlegung der Tatsachen, auf der die Schätzung aufbaut.
Nachgehend
Tenor
I. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts München vom 21.06.2002 sowie des Bescheides vom 22.05.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2000 verpflichtet, der Klägerin Bundeserziehungsgeld für die ersten 6 Lebensmonate ihres 2000 geborenen Kindes M. unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorschriften zu bewilligen.
II. Der Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Bewilligung von Bundeserziehungsgeld (BErzg) für das erste Lebensjahr des am 16.03. geborenen Kindes M. der Klägerin.
Die Klägerin hat 1998 ihren Sohn M. und 2000 ihren Sohn M. geboren. Sie erhielt vom 30.01.2000 bis 11.05.2000 Mutterschaftsgeld und war nach der Geburt von M. nicht mehr erwerbstätig, sondern in Erziehungsurlaub.
Ihr Ehemann war abhängig beschäftigt und hatte laut Verdienstbescheinigung seines Arbeitgebers vom 04.04.2000 einen monatlich feststehenden Bruttoarbeitslohn von 11.410,70 DM. Für die Monate März 2000 und Dezember 2000 wurde ein Bruttoarbeitslohn von 36.410,70 DM bzw. 36.700,70 DM seitens des Arbeitgebers beziffert. Insgesamt errechnete sich ein Bruttoarbeitslohn für das Jahr 2000 in Höhe von 187.218,40 DM. Laut Arbeitgeber hatte der Bruttoarbeitslohn im Jahr 1999 174.337,48 DM betragen. Der Arbeitgeber wies in der Bestätigung darauf hin, dass es sich für die Zeit ab Monat Mai 2000 um voraussichtliche Daten handle.
Für die Kinder M. und M. wurde Kindergeld bezahlt. Für die beiden Kinder aus erster Ehe leistete der Ehemann der Klägerin jährlichen Unterhalt in Höhe von 15.692,00 DM und für seine frühere Ehefrau in Höhe von 13.048,00 DM (bestätigt durch Kontoauszug der Hypo- und Vereinsbank). Das gesamte Kindergeld für die Kinder aus erster Ehe erhielt die Mutter der Kinder (6.480,00 DM).
Am 04.05.2000 ging beim Beklagten der Antrag der Klägerin vom 03.03.2000 auf Gewährung von BErzg für den ersten bis zwölften Lebensmonat des Kindes M. ein. Mit Bescheid vom 22.05.2000 wurde der Antrag wegen Überschreitens der Einkommensgrenze nach § 5 Abs.2 Satz 1 BErzGG abgelehnt. Grundlage der Entscheidung war ein geschätztes Bruttoeinkommen des Ehemannes aus nicht selbständiger Arbeit in Höhe von 187.218,40 DM abzüglich Werbungskosten von 3.618,00 DM sowie Unterhaltsleistungen an die Kinder aus erster Ehe des Ehemannes in Höhe von 15.692,00 DM und an die geschiedene Ehefrau in Höhe von 13.058,00 DM. Daraus ergab sich unter Abzug der Pauschale in Höhe von 27 % (= 49.572,00 DM) gemäß § 6 Abs.1 Nr.1 BErzGG ein zu berücksichtigendes Jahreseinkommen von 105.288,00 DM. Dies führte wegen Überschreitens der Einkommensgrenze von 104.200,00 DM zum Ausschluss des Erziehungsgeldes für die ersten sechs Lebensmonate. Für die Zeit ab dem siebten Lebensmonat fehlten bei dieser Sachlage nach Ansicht beider Beteiligten die Voraussetzungen für die Bewilligung von BErzg.
Mit dem Widerspruch vom 30.05.2000 trug die Klägerin vor, dass das Kindergeld für die Kinder des Ehemannes aus erster Ehe in voller Höhe an die geschiedene Ehefrau ausgezahlt werde. Zum Ausgleich müsse ihr Ehemann nur um das hälftige Kindergeld gekürzte Unterhaltszahlungen an seine Kinder aus erster Ehe leisten. Diese Kürzung sei als Unterhaltszahlung des Ehemannes zu bewerten, die bei der Einkommensberechnung zusätzlich mit abgezogen werden müsse (= 3.240,00 DM). Der Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 19.07.2000 zurück und machte geltend, dass nur die tatsächlich erbrachten Leistungen im Rahmen des § 6 Abs.1 Nr.2 BErzGG berücksichtigt werden könnten.
Mit der am 10.08.2000 beim Sozialgericht München erhobenen Klage hielt die Klägerin ihr Vorbringen aufrecht. In der mündlichen Verhandlung vom 08.05.2002 legte...