Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsberechtigter. Leistungsausschluss. Unterbringung in einer stationären Einrichtung der medizinischen Rehabilitation. voraussichtlich für weniger als 6 Monate in einem Krankenhaus. Beginn des Prognosezeitraums. Zeitpunkt der Antragstellung
Leitsatz (amtlich)
Für die nach § 7 Abs 4 Satz 3 SGB II anzustellende Prognose über die zu erwartende Aufenthaltsdauer in einer stationären Einrichtung ist maßgeblich auf den Zeitpunkt der Beantragung von Leistungen nach dem SGB II abzustellen.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 30.06.2011 wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 22.10.2010 bis 11.04.2011.
Der Kläger bezog zunächst Alg II vom Beklagten. Am 27.10.2009 kam er in Untersuchungshaft in die Justizvollzugsanstalt (JVA) C-Stadt. Mit Urteil des Amtsgerichts D-Stadt vom 13.04.2010 wurde er wegen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. In den Gründen des Urteils ist ausgeführt, vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 35 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) könne ausgegangen werden, da die eigene Betäubungsmittelabhängigkeit des Klägers zumindest mitursächlich für sein Handeltreiben gewesen und damit der erforderliche Kausalzusammenhang gegeben sei. Mit Bescheid vom 23.09.2010 stellte die Jugendrichterin am Amtsgericht C-Stadt als Vollstreckungsleiterin die Vollstreckung der Strafe mit Wirkung vom 11.10.2010 für die Dauer von längstens zwei Jahren zurück und verfügte die Verbringung des Klägers in die E., E-Straße, E-Stadt. Die nachgewiesene Zeit des Aufenthalts in der Einrichtung werde auf die Jugendstrafe angerechnet, bis infolge der Anrechnung 2/3 der Strafe erledigt seien (§ 36 Abs 1 BtMG). Hieraus ergebe sich bei einem voraussichtlichen Strafende am 05.08.2012 eine 2/3-Zeit für den 25.08.2011. Am 11.10.2010 begab sich der Kläger zur Durchführung einer stationären Drogenlangzeittherapie in die E.; die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) erteilte diesbezüglich eine Kostenzusage über 26 Wochen bis zum 11.04.2011. Am 11.04.2011 wurde der Kläger aus der Klinik entlassen; ab 12.04.2011 bis 30.09.2011 bewilligte der Jobcenter Landkreis R. dem Kläger Alg II. Im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens (S 9 AS 1013/10 ER) vor dem Sozialgericht Würzburg (SG) teilte die JVA E. unter dem 11.01.2011 mit, dass einer Entlassung des Klägers zur Bewährung bei ordnungsgemäßem Abschluss der Therapie voraussichtlich nichts entgegenstehe.
Bereits am 22.10.2010 hatte der Kläger beim Beklagten Alg II beantragt. Nachdem ein wegen Unzuständigkeit ablehnender Bescheid vom 26.01.2010 mit Abhilfebescheid vom 03.11.2010 wieder aufgehoben wurde, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 03.11.2010 die vorläufige Gewährung von Alg II nach § 43 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) ab, da der Kläger ab 11.10.2010 für mehr als sechs Monate in einer stationären Einrichtung untergebracht sei. Dabei sei nur die Zeit des stationären Aufenthalts berücksichtigt worden. Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein. Nachdem die Therapiekosten für 26 Wochen genehmigt worden seien, befinde er sich nicht voraussichtlich für länger als sechs Monate in einer stationären Einrichtung. Zudem sei der Antrag erst am 22.10.2010 gestellt worden, der Bewilligungszeitraum für die Therapie liege damit unter einem halben Jahr. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29.11.2010 zurück. Seitens des Kostenträgers sei zu Therapiebeginn am 11.10.2010 von einem Aufenthalt von weniger als sechs Monaten, sondern von mindestens sechs Monaten ausgegangen worden. Die maßgebliche Prognoseentscheidung sei zu Beginn des Aufenthalts zu treffen. Auch für ein vorzeitiges Ende des Aufenthalts gebe es keine Anhaltspunkte. Maßgeblich sei auch nicht der Zeitpunkt der Antragstellung, da andernfalls der Betroffene durch einen später gestellten Antrag einen Leistungsanspruch nach dem SGB II herbeiführen könnte.
Dagegen hat der Kläger Klage beim SG erhoben. Eine Prognose anhand der Kostenzusage der DRV, die einzelfallunabhängig erteilt werde, sei nicht möglich. Der Zeitpunkt der Antragstellung sei maßgeblicher Beginn des Prognosezeitraums. Mit Urteil vom 30.06.2011 hat das SG den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 03.11.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2010 verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 22.10.2010 bis 11.04.2011 Alg II in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe er jedenfalls bis zum 26.10.2009 im Zuständigkeitsbereich des Beklagten gehabt, d...