Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Krankenversicherung: Zugang zur Krankenversicherung der Rentner. Vorversicherungszeit. Verfassungsmäßigkeit. Solidaritätsprinzip

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V verstößt nicht gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz.

2. Die für den Zugang zur Krankenversicherung der Rentner notwendigen Vorversicherungszeiten haben mit dem Alter des Versicherten nichts zu tun, sondern sind Ausdruck des Versicherungs- und Solidaritätsgrundsatzes in der gesetzlichen Sozialversicherung.

 

Normenkette

SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 11; AGG §§ 1, 2 Abs. 2

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 25.04.2017; Aktenzeichen B 12 KR 102/16 B)

 

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 20.04.2015 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Kläger von der Beklagten die Aufnahme in die Krankenversicherung der Rentner (KVdR) nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB V - verlangen kann.

Der 1950 geborene Kläger bezieht seit 01.02.2014 aufgrund seines Antrags vom 20.01.2014 von der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Der Kläger wurde als freiwillig Versicherter in der gesetzlichen Krankenversicherung eingestuft und erhielt einen Zuschuss zu seinem Krankenversicherungsbeitrag (Bescheid vom 18.03.2014, Neufestsetzung durch Bescheid vom 02.05.2014, gegen den am 06.05.2014 Widerspruch eingelegt wurde).

Am 12.06.2014 beantragte der damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers die Aufnahme des Klägers in die KVdR. Mitgeteilt wurde, dass der Kläger erstmals eine Erwerbstätigkeit am 01.04.1965 aufgenommen hatte, was eine Pflichtmitgliedschaft nach sich gezogen habe. In der Zeit vom 01.10.1988 bis 30.06.1995 sei er in der Schweiz beruflich tätig und dort in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert gewesen.

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 17.09.2014 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger die notwendigen Vorversicherungszeiten nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V nicht erfülle. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 27.10.2014 als unbegründet zurückgewiesen. Die Rahmenfrist im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V belaufe sich vom Eintritt in das Erwerbsleben am 01.04.1965 bis zum Tag der Rentenantragstellung am 20.01.2014 und betrage 48 Jahre, 9 Monate und 20 Tage. Die notwendige Vorversicherungszeit betrage 90 % der zweiten Hälfte des Erwerbslebens und belaufe sich auf 21 Jahre, 11 Monate und 21 Tage. Hiervon habe der Kläger an Pflichtversicherungszeiten 13 Jahre, 10 Monate und 5 Tage nachgewiesen. Die notwendige Vorversicherungszeit sei daher nicht erfüllt.

Zur Begründung der hiergegen am 31.10.2014 zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhobenen Klage hat der Kläger vortragen lassen, dass die Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V eine finanzielle Ungleichbehandlung bei der Beitragsbemessung zwischen pflichtversicherten und freiwillig versicherten Rentnern darstelle, da es zu wesentlich höheren Krankenversicherungsbeiträgen bei freiwillig krankenversicherten Rentnern komme. Die Vorschrift verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Der Kläger sei zudem insgesamt länger als 35 Jahre Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung gewesen, er habe ein vergleichbares Schutzbedürfnis wie die Mitglieder in der KVdR. Zudem widerspreche die gesetzliche Regelung der Absicht des Gesetzgebers, mehr Klarheit in das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung zu bringen. Dieses Recht müsse für den Bürger verständlich und lesbar sein, was nicht der Fall sei. Der Kläger sei von der Beklagten auch unzureichend über die gesetzliche Regelung informiert worden. Die Regelung verstoße außerdem gegen das Gleichbehandlungsgesetz und stelle eine Diskriminierung der Rentner dar, denn Altersarmut würde hierdurch gefördert. Im Übrigen sehe der Kläger einen Verstoß gegen Art. 1 Grundgesetz - GG -.

Nach Durchführung eines Erörterungstermins am 26.03.2015 hat das SG sodann die Klage durch Gerichtsbescheid vom 20.04.2015 als unbegründet abgewiesen. Der Kläger habe die notwendige 9/10-Belegung in der zweiten Hälfte des Erwerbslebens mit Mitgliedschaftszeiten nicht erfüllt. Die erforderliche Vorversicherungszeit betrage 8.022 Tage. Der Kläger habe jedoch nur 6.575 Tage berücksichtigungsfähige Mitgliedschaftszeiten zurückgelegt. Die nach Hinweis des Gerichts nunmehr korrigierte Berechnung werde vom Kläger auch nicht mehr angezweifelt. Der Kläger habe keine weiteren Nachweise über relevante Mitgliedschaftszeiten vorgelegt oder entsprechende Zeiten behauptet. Das Gericht sehe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V gegen das Grundgesetz verstoßen könnte. Ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz - AGG - sei nicht ersichtlich, insbesondere stehe das AGG im Rang nicht über dem SGB V.

Zur Begründung der hierge...

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