Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Rentenversicherung: Nachzahlung von Regelaltersrente bei einem Berechnungsfehler
Leitsatz (amtlich)
Die zeitliche Beschränkung des § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X für nachzuzahlende Sozialleistungen (hier: Altersrente) greift unabhängig vom Grad des dem zuständigen Sozialversicherungsträger zuzurechnenden Verschuldens.
Die Vorschrift des § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch wird im Hinblick auf die Beseitigung der Folgen eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes durch die Vorschrift des § 44 SGB X tatbestandlich verdrängt.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 16. März 2018 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Anwendung des § 44 Abs. 4 SGB X auf eine von der Beklagten zu erbringende Nachzahlung von Regelaltersrente streitig.
Der 1930 geborene Kläger bezieht aufgrund eines am 22.03.1962 erlittenen Arbeitsunfalls von der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege eine Verletztenrente nach einer MdE von 90 %. Daneben gewährte die Beklagte zunächst Erwerbsunfähigkeitsrente ab dem 21.09.1962. Entsprechend den maßgeblichen Bestimmungen der RVO wurde hierbei die Verletztenrente angerechnet, was zu einem teilweisen Ruhen des Anspruchs auf Erwerbsunfähigkeitsrente führte. Mit Bescheid vom 06.12.1995 wandelte die Beklagte aufgrund des Erreichens der Altersgrenze die Erwerbsunfähigkeitsrente ab 01.10.1995 in eine Regelaltersrente um. Bei der nunmehr nach den Vorschriften des SGB VI vorzunehmenden Anrechnung der Unfallrente wurde von der EDV aufgrund einer Fehlprogrammierung der nach § 93 Abs. 2 Nr. 2a SGB VI vor Anrechnung der Unfallrente abzuziehende Grundrentenbetrag nach dem BVG nicht in Ansatz gebracht. Aufgrund der besonderen Konstellation mit Umwandlung einer Erwerbsunfähigkeitsrente in eine Regelaltersrente unter geänderten Anrechnungsbestimmungen sowie unter Anwendung der Übergangsregelung der §§ 266, 312 SGB VI wurde der Fehler weder bei der - vor Ausgabe des Bescheids obligatorischen - abschließenden Prüfung durch den Sachbearbeiter noch im Rahmen der laufenden internen Fehlerprüfung erkannt. Erst im Rahmen einer individuellen Prüfung durch die nunmehr zuständige Sachbearbeiterin am 01.06.2017 trat der Fehler zu Tage.
Mit angefochtenem Bescheid vom 12.06.2017 hob die Beklagte die bisherige Bewilligung hinsichtlich der Rentenhöhe auf und berechnete die Rente - nunmehr unter zutreffender Anwendung der einschlägigen Vorschriften - ab 01.01.2013 neu. Neben der Feststellung eines höheren monatlichen Zahlbetrags ergab sich eine rückwirkende Nachzahlung in Höhe von Euro 18.161,00. Mit weiterem Bescheid vom 26.07.2017 wurde eine Verzinsung der Nachzahlung in Höhe von 1519,97 festgestellt. Der hiergegen eingelegte Widerspruch des Klägers wurde mit Bescheid vom 11.10.2017 als unbegründet zurückgewiesen. Bei der nach § 44 Abs. 1 SGB X von Amts wegen vorgenommen Korrektur der Rentenbewilligung könnten nach der Regelung des § 44 Abs. 4 SGB X zu Unrecht nicht erbrachte Leistungen längstens für einen Zeitraum von vier Jahren vor Beginn des Jahres, in welchen der Rücknahmebescheid erlassen wurde, erbracht werden. Diese materielle Ausschlussfrist gelte unabhängig von einem Verschulden der Beklagten. Entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gelte die Vorschrift auch für einen möglichen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Die berechnete Verzinsung entspreche den gesetzlichen Bestimmungen.
Gegen diese Entscheidung erhob der Kläger am 09.11.2017 Klage zum Sozialgericht Regensburg (SG), mit welcher Nachzahlungen auch für die Zeit vor dem 01.01.2013 begehrt wurden. Ihm sei großer finanzieller Schaden entstanden, die Schuld hierfür liege eindeutig bei der Beklagten. Aufgrund seines Arbeitsunfalls sei er pflegebedürftig, er habe finanzielle Schwierigkeiten und hoffe auf soziale Gerechtigkeit.
Mit Urteil nach mündlicher Verhandlung vom 16.03.2018 wies das SG die Klage als unbegründet ab. Zu Recht habe die Beklagte die Vorschrift des § 44 Abs. 4 SGB X herangezogen. Die Begrenzung einer Nachzahlung auf vier Jahre sei der vom Gesetzgeber gewollte Kompromiss zwischen den widerstreitenden Interessen der Bestandskraft auch rechtswidriger Entscheidungen und dem Interesse an einer Richtigkeit von Entscheidungen. Die Vorschrift erweise sich auch als verfassungsgemäß.
Gegen diese Entscheidung legte der Kläger durch seine Bevollmächtigten am 30.04.2018 Berufung ein. § 44 Abs. 4 SGB X entspreche nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Die Vorschrift verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG), da sie alle Sachverhalte gleich behandle, unabhängig davon welche Finanzierung der jeweiligen Sozialleistung (B...