Entscheidungsstichwort (Thema)

Fremdrentenrecht: Anerkennung in der ehemaligen Sowjetunion zurückgelegter Versicherungszeiten als nachgewiesene Beitragszeiten

 

Leitsatz (amtlich)

Allein aufgrund der Angaben der Versicherten können in der ehemaligen Sowjetunion zurückgelegte Versicherungszeiten nicht als nachgewiesene Beitragszeiten zu 6/6 angerechnet werden.

 

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 12. August 2013 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung der von der Klägerin in der ehemaligen Sowjetunion vom 5. September 1956 bis 30. November 1994 zurückgelegten Versicherungszeiten als nachgewiesene Beitragszeiten zu 6/6.

Die im November 1938 in der ehemaligen Sowjetunion geborene Klägerin, deutsche Staatsangehörige, ist als Spätaussiedlerin anerkannt. Sie hat ihren ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet seit 10. September 1995.

Ausweislich einer vorgelegten Arbeitsbescheinigung vom 16. November 1956 sowie des russischen Arbeitsbuchs vom 6. Mai 1959 war sie wie folgt beschäftigt:

5. September 1956 - 13. November 1956: Motorenwärteranlernling (Bergbau)

24. Dezember 1956 - 15. August 1963: Maschinistin (Bergbau)

7. September 1963 - 28. Dezember 1966: Arbeiterin (Fleischkombinat)

10. Januar 1967 - 13. März 1967: Kämmerin (Woll- und Garnwerk)

23. März 1967 - 9. Oktober 1978: Arbeiterin (Fleischkombinat)

12. Oktober 1978 - 11. November 1994: Tankwart (Treibstofflager)

1. Dezember 1994 - 9. August 1995: Verkäuferin (Kleinbetrieb "C.")

Mit Bescheid vom 24. Februar 1999 gewährte die Beklagte der Klägerin Altersrente für Frauen ab 1. Dezember 1998. Die Zeiten vom 5. September 1956 bis 9. August 1995 rechnete sie dabei als glaubhaft gemachte Beitragszeiten zu 5/6 an.

Mit Schreiben vom 22. Dezember 2009 beantragte die Klägerin eine Überprüfung des Rentenbescheids gemäß § 44 SGB X. Der Bescheid sei rechtswidrig, weil sie nicht darauf hingewiesen worden sei, eine Kürzung der Beitragszeiten auf 5/6 zu verhindern, indem sie konkrete Lohnlisten bzw. Lohnlistenauszüge vorlegt. Beschäftigungszeiten, die durch Arbeitsbescheinigungen nachgewiesen seien, müssten nach Auffassung des zuständigen Bundestagsausschuss im Gesetzgebungsverfahren voll angerechnet werden. Daraus ergebe sich eine dementsprechende Beratungspflicht der Beklagten. Aufgrund mehrerer Entscheidungen des BSG vom 21. August 2008 (B 13/4 R 25/07 R), 12. Februar 2009 (B 5 R 39/06 R und B 5 R 40/08 R) und 19. November 2009 (B 13 R 67/08 R, B 13 R 145/06) sei allerdings fraglich, ob es des Nachweises von Beschäftigungszeiten durch Arbeitsbescheinigungen überhaupt noch bedürfe. Danach sei das Beschäftigungsverhältnis zu berücksichtigen, wenn die Zahlung von Beiträgen in ein Rentenversicherungssystem festgestellt werden könne. Dies sei für die Klägerin der Fall.

Die Klägerin hat weiter vorgetragen, der Nachweis von Unterbrechungen könne, falls diese aus Unterlagen aus den Herkunftsgebieten nicht hervorgingen, auch auf andere Weise, z.B. durch sonstige Belege oder Zeugenaussagen, geführt werden. Die Glaubhaftmachung von Beschäftigungszeiten habe seinen Ausgang gefunden, als die nach Deutschland übersiedelnden Vertriebenen keine Arbeitsbücher bei der Übersiedlung mitnehmen durften, die Rentenversicherungsträger also letztlich aufgrund eidesstattlicher Versicherungen oder günstigstenfalls belegt durch Zeugenaussagen Angaben zum Beschäftigungsverhältnis glauben mussten. Dies sei aber seit der Möglichkeit der Vorlage von Arbeitsbüchern grundsätzlich anders. Dort seien Beginn und Ende des Beschäftigungsverhältnisses dokumentiert. Zeiten der Arbeitslosigkeit hätten in den vom Arbeitsbuch dokumentierten Zeiträumen nicht vorgelegen. Beitragszeiten ohne Beschäftigung hätte es in der ehemaligen Sowjetunion nicht gegeben.

Die zu den rumänischen Kolchosen ergangene Rechtsprechung des BSG sei auf den Fall der Klägerin übertragbar. Entscheidend sei nicht der Nachweis von Art und Umfang des Beschäftigungsverhältnisses, sondern die Tatsache, ob Beitragszeiten feststellbar seien und eine Beschäftigung stattgefunden habe. Wie bei LPG-Mitgliedern habe auch bei Kolchosemitgliedern eine Beitragszahlung stattgefunden. Aus den vorgelegten Bescheinigungen ergebe sich der Nachweis einer Vollzeitbeschäftigung.

Ausweislich einer beigefügten Bescheinigung des Dr. B. vom 23. November 1995 ergebe sich, dass der sowjetische Arbeiter selbst keine Beiträge zur Sozialversicherung getragen habe. Diese seien vom Unternehmen an den Sozialversicherungsfonds abgeführt worden. Für Mitglieder einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft sei dies nicht anders gewesen als für Kolchosemitglieder, Spezialisten, die mit einem Arbeitsvertrag bei der Kolchose beschäftigt gewesen seien, oder für sonstige Arbeitnehmer. Da die volle Lohnfortzahlung aus dem Sozialversicherungsfonds davon abhängig gewesen sei, dass die Betroffenen Gewerkschaftsmitglieder gewesen seien,...

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