Entscheidungsstichwort (Thema)

Erwerbsminderungsrente: Dauerhafte Leistungsminderung bei einer psychischen Erkrankung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Psychische Erkrankungen werden erst dann rentenrechtlich relevant, wenn trotz adäquater Behandlung (medikamentös, therapeutisch, ambulant oder stationär) davon auszugehen ist, dass der Versicherte die psychischen Einschränkungen weder aus eigener Kraft noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe dauerhaft nicht mehr überwinden kann.

2. Eine erstmalige Behandlungsaufnahme ist für sich allein nicht geeignet, eine dauerhafte, d. h. mindestens 6 Monate andauernde, quantitative Leistungsminderung nachzuweisen.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 24.01.2018; Aktenzeichen B 13 R 377/15 B)

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 17.06.2013 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung aufgrund eines umgedeuteten Reha-Antrages vom 25.03.2011 hat.

Die 1978 geborene Klägerin beantragte am 25.03.2011 bei der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV-Bund) die Gewährung einer Leistung der stationären medizinischen Rehabilitation. Der Antrag wurde an die Beklagte als kontoführender Versicherungsträger weitergeleitet und ist dort am 01.04.2011 eingegangen. Zur Begründung des Reha-Antrages war eine Angsterkrankung mit Panikattacken und Verdacht auf eine Persönlichkeitsstörung angegeben. Nach Beiziehung von Befundberichten des behandelnden Hausarztes Dr. H. und des Gynäkologen Dr. G. holte die Beklagte ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. Sch. ein, die am 29.06.2011 zu der Diagnose einer schweren Persönlichkeitsstörung mit sozialen und kommunikativen Defiziten kam. Die Klägerin sei derzeit nicht reha-fähig. Es bestehe ein Behandlungsbedarf. Das Leistungsvermögen für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes liege derzeit unter drei Stunden täglich.

Die Beklagte lehnte daraufhin wohl mit Bescheid vom 05.07.2011 den Reha-Antrag ab (der Bescheid findet sich nicht in der Akte). Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 25.07.2011 stellte die Beklagte fest, dass der Reha-Antrag vom 25.03.2011 nach § 116 Abs. 2 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI - in einen Rentenantrag umzudeuten gewesen sei. Zwar sei davon auszugehen, dass die Klägerin ab Antragstellung voll erwerbsgemindert sei, weil sie nur noch ein unter 3-stündiges Leistungsvermögen habe. Zu diesem Zeitpunkt seien aber die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr gegeben. In der relevanten 5-Jahres-Frist lägen null Monate mit Pflichtbeitragszeiten vor.

Zur Begründung des hiergegen eingelegten Widerspruchs vom 10.08.2011 wies die Klägerin darauf hin, dass ihre psychische Erkrankung bereits seit Jahren bestehe, Unterlagen würden noch nachgereicht. Vorgelegt wurde hierzu wohl nur ein Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin, Chirotherapie und Akupunktur Dr. M. vom 20.09.2011. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12.10.2011 als unbegründet zurück. Die Klägerin würde die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllen. Im Rahmen einer prüfärztlichen Stellungnahme habe Frau Dr. Sch. darauf hingewiesen, dass es keinerlei Hinweise für einen Leistungsfall am 31.05.2007 gebe (letzter denkbarer Leistungsfall). Die Klägerin habe selbst angegeben, dass sich mit der Endometriose-Operation im Jahr 2008 die psychischen Probleme verschlimmert hätten und der soziale Rückzug begonnen habe. Es habe zu keiner Zeit eine leitliniengerechte Therapie stattgefunden.

Zur Begründung der hiergegen am 11.11.2011 zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhobenen Klage hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ein Attest des Hausarztes Dr. M. vorgelegt, wonach die Klägerin von 2005 bis 2007 bei der Dipl.-Psych. W. in C-Stadt in Behandlung gewesen sei. Die Klägerin habe sich mit Ausnahme des Jahres 2007 seit 2005 durchgehend in psychotherapeutischer Behandlung befunden.

In einem vom SG beigezogenen Befundbericht des Arztes für Allgemeinmedizin und Psychotherapie Dr. R. ist festgehalten, dass seit 2009 offenbar eine zunehmende Verschlechterung eingetreten sei, Aufgabe bzw. Verlust des Arbeitsplatzes. Arbeitsunfähigkeit sei durchgehend vom 19.06.2011 bis jetzt bestätigt.

Mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 04.07.2012 wurde eine Bestätigung der Dipl.-Psych. W. vom 24.04.2012 übersandt, wonach sich die Klägerin im Zeitraum 05/2005 bis 03/2007 bei ihr in psychotherapeutischer Behandlung befunden habe, im Umfang der von der zuständigen Krankenkasse bewilligten 60 Stunden. Als Diagnose sei eine ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung (F 60.6) und eine generalisierte Sozialphobie als Dauerdiagnose gestellt. Dies belege, dass die von der Beklagten ebenfalls diagnostizierte Persönlichkeitsstörung schon weitaus früher aufg...

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