Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. obligatorische Anschlussversicherung bei einer beihilfeberechtigten Person. keine Ausschluss durch Grundsatz der absoluten Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs 1 Nr 2, Abs 3 SGB 5. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zu den Voraussetzungen einer obligatorischen Anschlussversicherung nach § 188 Abs 4 S 1 und 2 SGB V.

2. Zwar hat der Gesetzgeber beihilfeberechtigte Personen im Hinblick auf die Pflicht, sich ergänzend privat zu versichern, ausnahmslos von der nachrangigen Versicherungspflicht gemäß § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V ausgenommen.

3. Der Grundsatz der absoluten Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs 1 Nr 2, Abs 3 SGB V schließt jedoch eine obligatorische Anschlussversicherung nach § 188 Abs 4 SGB V in Form einer freiwilligen Versicherung - auch gegen den Willen des Versicherten - nicht aus. Dies ergibt sich aus der Gesetzessystematik und entspricht auch dem gesetzgeberischen Ziel, für möglichst alle in Deutschland lebenden Personen vollständigen Versicherungsschutz gegen Krankheit sicherzustellen.

4. Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken aus der Anwendung der Vorschrift des § 188 Abs 4 SGB V auf beihilfeberechtigte Personen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 10.12.2019; Aktenzeichen B 12 KR 20/18 R)

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 14.06.2017 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Durchführung einer freiwilligen Versicherung nach § 188 Abs. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) für den Zeitraum 01.10.2015 bis 30.06.2017.

Der 1973 geborene Kläger bezog bis 30.09.2015 Arbeitslosengeld II nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und war über diesen Bezug nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V bei der Beklagten pflichtversichert.

Mit Wirkung zum 01.09.2015 wurde der Kläger unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf zum Verwaltungssekretäranwärter bei der Stadt A. ernannt. Er hatte aus diesem Beamtenverhältnis Anspruch auf Beihilfe in Höhe von 50%. Eine private Krankenversicherung schloss er nicht ab.

Die Beklagte wandte sich mit Schreiben vom 30.03.2016 an den Kläger, um zu klären, wie er seit dem 01.10.2015 versichert sei. Er brauche vorerst nichts zu unternehmen, wenn er eine Beschäftigung mit einem monatlichen Einkommen über 450,-- Euro aufgenommen habe oder Leistungen der Arbeitsagentur oder des Jobcenters beziehe. Treffe keine dieser Möglichkeiten zu, werde er automatisch als freiwilliges Mitglied versichert. Die Höhe der Beiträge werde berechnet, sobald er die Beklagte über seine Einnahmen informiert habe. Abschließend heißt es: "Sind Sie nach dem Ende Ihrer Pflichtversicherung bereits anderweitig krankenversichert (z. B. in einer privaten Krankenversicherung), informieren Sie uns bitte innerhalb von zwei Wochen. Damit wir Ihre Versicherung beenden können, senden Sie uns bitte einen entsprechenden Nachweis."

Der Kläger erklärte daraufhin mit Schreiben vom 06.04.2016 die Kündigung seines Krankenversicherungsverhältnisses zum 01.10.2015, hilfsweise zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Als Beamtenanwärter sei er von der Sozialversicherungspflicht befreit und beihilfeberechtigt.

Die Beklagte erwiderte mit Schreiben vom 15.04.2016, soweit keine private Krankenversicherung zu Stande gekommen sei, sei die Versicherung bei der Beklagten weiterzuführen. Aufgrund der Kündigung ende die Versicherung dann zum 30.06.2016.

Dagegen wandte der Kläger mit Schreiben vom 02.05.2016 ein, dass seine Versicherung kraft Gesetzes zum 30.09.2015 mit Ende des Bezuges von Arbeitslosengeld II geendet habe. Dies ergebe sich aus § 190 Abs. 12 SGB V. Eine Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V scheide aufgrund der absoluten Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 SGB V aus.

Mit Bescheid vom 26.05.2016 stellte die Beklagte die Mitgliedschaft des Klägers aufgrund einer obligatorischen Anschlussversicherung nach § 188 Abs. 4 SGB V fest. Aus Rundschreiben des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen ergebe sich, dass ein anderweitiger Krankenversicherungsschutz im Sinne von § 188 Abs. 4 SGB V nicht gegeben sei, wenn eine über die beamtenrechtlichen Fürsorgevorschriften hinausgehende private Absicherung nicht vorhanden sei. Die Beklagte setzte Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung fest, wobei sie wegen fehlender Einkommensnachweise ab 01.01.2016 die Beitragsbemessungsgrenze in Höhe von monatlich 4.237,50 Euro zu Grunde legte.

Am 15.06.2016 erhob der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 26.05.2016; er berief sich auf § 6 Abs. 3 Satz 1 SGB V.

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 11.07.2016 fest, dass die Kündigung zum 30.06.2016 nach § 175 Abs. 4 Satz 4 SGB V mangels Vorlage einer Mitgliedsbescheinigung der neuen Krankenkasse nicht wirksam geworden sei. Ab 01.07.2016 sei weiterhin der Höchstbeitrag zu zahlen.

Am 30.07.2016 übersandte der Kläger Verdienstabrechnungen für Januar, März, Mai und Juni 2016 sowie ei...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge