Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Höhe der Verletztenrente. JAV. vorübergehende flexible Teilzeitarbeit. Unbilligkeit gem § 87 SGB 7. Promotion
Leitsatz (amtlich)
Erleidet eine ursprünglich in Vollzeit beschäftigte Versicherte einen Arbeitsunfall zu einem Zeitpunkt, in welchen wegen der Fertigung der Promotion absehbar befristet eine flexible Teilzeittätigkeit (hier: flexible Halbtagstätigkeit) vereinbart worden ist, und ist erkennbar, dass nach Abschluss der Promotion die Lebensstellung mindestens wieder der ursprünglichen entsprechen wird, ist es unbillig bei der Bemessung des Jahresarbeitsverdienstes als Grundlage der Unfallrente die tatsächlichen Einkünfte aus der befristeten Teilzeittätigkeit zugrunde zu legen.
Angemessen erscheint hier vielmehr ein Jahresarbeitsverdienst im Bereich einer Vollzeittätigkeit, wenn aus der Sicht ex ante nach Abschluss der Promotion eine erhebliche Verbesserung der Lebensstellung zu erwarten ist.
Orientierungssatz
1. Sowohl das Modell einer flexiblen Teilzeitarbeit als auch eine flexible Arbeitszeitregelung im Rahmen der Altersteilzeit ("Blockmodell") sind unter § 82 Abs 1 SGB 7 zu subsumieren. Sie können Zeiten einer Krankheit, einer Arbeitslosigkeit oder eines unbezahlten Urlaubs nicht gleichgestellt werden.
2. Ziel und Zweck der Auffüllungsvorschrift des § 82 Abs 2 S 1 SGB 7 ist es, Zeiten ohne Bezüge oder ohne typische Einkommenssituationen, oft mehr oder minder zufällig bedingt, nicht auf die unter Umständen lang dauernde Entschädigungsleistung durchschlagen zu lassen.
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts München vom 18.03.2009 sowie unter Abänderung des Bescheides vom 06.12.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.04.2005 verurteilt, bei der Festsetzung des Jahresarbeitsverdienstes mindestens den Betrag von 64.624,30 DM in Euro zugrunde zu legen und eine entsprechende Verletztenrente aufgrund des Arbeitsunfalls vom 14.04.2000 zu zahlen.
II. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
III. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Jahresarbeitsverdienstes als Berechnungsgrundlage der zu leistenden Verletztenrente streitig (§§ 81 ff. Siebtes Buch Sozialgesetzbuch Gesetzliche Unfallversicherung - SGB VII).
Die 1972 geborene Klägerin ist von Beruf Tierärztin. Sie hatte am 15.02.1998 in einer tierärztlichen Klinik für Pferde in A-Stadt eine Halbtagsbeschäftigung für 1.500,00 DM aufgenommen. Ab 01.08.1998 wurde diese Tätigkeit auf eine Ganztagsbeschäftigung (3.000,00 DM) ausgeweitet. Ab 01.12.1998 reduzierte die Klägerin die Arbeitszeit um die Hälfte, arbeitete ab 01.02.2000 wieder in Vollzeit und ab 01.03.2000 wechselte sie nochmals in eine Halbtagstätigkeit mit entsprechenden Änderungen des Gehalts. Abgesehen von diesen Änderungen des Arbeitsvertrags bewilligte der Arbeitgeber ihr ab 01.09.1998, 01.10.1998, 01.02.1999, 01.08.1999 und 01.02.2000 Gehaltserhöhungen von jeweils 250,00 DM bzw. 500,00 DM. Ab 01.04.2001 arbeitete sie für die Klinik in Vollzeit zu einem Monatsgehalt von 6.000,00 DM.
Bei der Behandlung eines Pferdes stürzte dieses am 14.04.2000 auf ihren linken Fuß. Hierbei zog sich die Klägerin eine Trümmerfraktur des oberen linken Sprunggelenkes zu. Mit Bescheiden vom 13.06.2001 und 06.08.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.09.2002 bewilligte die Beklagte eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 20 v.H.. Der Rentenberechnung wurde ein Jahresarbeitsverdienst in Höhe von 37.305,00 DM zugrunde gelegt.
In der dagegen am 16.10.2002 beim Sozialgericht München (SG) anhängig gemachten Klage (S 20 U 733/02) hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 09.09.2004 erläutert, sie habe ihre Approbation Anfang 1998 erhalten. Die Promotion, eine tierexperimentelle Studie über die Osseointegration von Prüfkörpern aus Titan bzw. -legierungen sei mit ihrem Doktorvater Anfang 1998 abgesprochen worden. Anfang 1999 habe sie dann begonnen, die Promotionsarbeit intensiv zu führen. Der Wechsel zwischen einer Vollzeit- und einer Halbtagstätigkeit sei von den Anforderungen und Versuchen der Promotion abhängig gewesen.
Aufgrund eines Hinweises des SG auf die unzureichende Ermessensausübung der Beklagten bei der Bestimmung des Jahresarbeitsverdienstes haben sich die Beteiligten vergleichsweise dahingehend geeinigt, dass die Beklagte über die Höhe des Jahresarbeitsverdienstes bis spätestens 01.01.2005 neu entscheiden werde.
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 06.12.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.04.2005 sprach die Beklagte aus, der nach der Regelberechnung festgestellte Jahresarbeitsverdienst in Höhe von 37.305,00 DM (= 19.073,76 EUR) entspräche billigem Ermessen. Eine Neuberechnung des mit Bescheid vom 13.06.2001 festgestellten Jahresarbeitsverdienstes erfolge nicht. Entsprechend der Rege...