Entscheidungsstichwort (Thema)
Überbrückungsgeld. Zulassung der verspäteten Antragstellung. unbillige Härte. Spezialvorschrift. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Verschulden. Ermessensausübung
Orientierungssatz
1. Der Begriff der unbilligen Härte iS des § 324 Abs 1 S 2 SGB 3 ist nicht identisch mit den Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 27 SGB 10. Vielmehr stellt § 324 Abs 1 S 2 SGB 3 eine spezialgesetzliche Vorschrift dar, weshalb gemäß § 27 Abs 5 SGB 10 die Vorschriften über die Wiedereinsetzung nicht anzuwenden sind. Deshalb muss eine verspätete Antragstellung auch in Fällen zugelassen werden können, in denen die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung deshalb nicht vorliegen würden, weil ein - ggf leichtes - Verschulden des Antragstellers vorliegt. Umgekehrt ist allerdings davon auszugehen, dass im Falle eines unverschuldeten Versäumens der Antragsfrist von vornherein ein Fall der unbilligen Härte vorliegt; jedoch ist dieser Begriff eben auf diese Fallkonstellation nicht beschränkt.
2. Eine unbillige Härte liegt vor, wenn bei Abwägung des Interesses der Bundesagentur für Arbeit (BA), den Antrag vor Eintritt des leistungsauslösenden Ereignisses zu erhalten, und dem Interesse des Antragstellers, die Leistungen auch bei verspäteter Antragstellung zu erhalten, Letzterem der Vorzug zu geben ist.
3. Liegt eine unbillige Härte vor, so ist die BA verpflichtet, über die Bewilligung des Übergangsgeldes unter Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens zu entscheiden.
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 20.08. 2004 und der Bescheid der Beklagten vom 05.06.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.08.2002 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, über den Antrag der Klägerin auf Überbrückungsgeld vom 04.06.2002 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Überbrückungsgeld (Übbg) streitig.
Die 1974 geborene Klägerin bezog seit 01.12.2001 Arbeitslosengeld (Alg). Mit E-Mail vom 04.06.2002, gerichtet an die Sachbearbeiterin der Beklagten S., beantragte sie Übbg und führte aus, wie bei ihrem letzten Besuch am 03.05.2002 angedeutet, biete sich ihr trotz umfangreicher Bemühungen in ihrem Beruf derzeit nicht die geringste Chance einer Anstellung. Sie habe sich deshalb entschlossen, freiberuflich für Unternehmen zu arbeiten, und habe ein Unternehmen gefunden, für das sie seit 01.06.2002 tätig sein könne. Sie bitte, die Zahlung des Alg ab 01.06.2002 einzustellen.
Am 05.06.2002 reichte die Klägerin den ausgefüllten Formblattantrag ein. Mit Bescheid vom 05.06.2002 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Klägerin habe diesen verspätet gestellt, da sie die selbständige Tätigkeit bereits zum 01.06.2002 aufgenommen habe.
Mit ihrem Widerspruch trug die Klägerin vor, am Abend des 29.05.2002, einem Mittwoch, die Zusage eines Unternehmens bekommen zu haben, ab Juni für dieses freiberuflich tätig sein zu können. Wegen des Feiertages am 30.05.2002 und des Urlaubes der Sachbearbeiterin am 31.05.2002 habe sie diese nicht fristgerecht informieren können.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23.08.2002 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. In der ihr übergebenen Broschüre "Was? Wieviel? Wer?" sei sie darauf hingewiesen worden, dass Übbg vor Aufnahme der selbständigen Tätigkeit beantragt werden müsse. Die bestehende Rechtslage erlaube auch nach sorgfältiger Prüfung keine vom Ausgangsbescheid abweichende Entscheidung.
Zur Begründung ihrer zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ausgeführt, sie habe am 31.05.2002 die Kranken- und Rentenversicherung informiert und sich ebenfalls telefonisch an die Sachbearbeiterin S. gewandt, eine Kontaktaufnahme sei aber nicht möglich gewesen, da diese offenbar aufgrund des sog. Brückentages nicht erreichbar gewesen sei. Arbeitsbeginn für den ihr erteilten Auftrag sei Montag, der 03.06.2002, an der Betriebsstelle des Auftraggebers in M. gewesen. Sie sei den ganzen Tag über beschäftigt gewesen, weshalb es ihr nicht möglich gewesen sei, von diesem Auftraggeber aus mit dem Arbeitsamt Kontakt aufzunehmen. Die Ablehnung wegen der um einen Tag verspäteten Antragstellung bedeute eine unbillige Härte im Sinne des § 324 SGB III.
Mit Gerichtsbescheid vom 20.08.2004 hat das SG die Klage abgewiesen. Die bloße Unkenntnis darüber, dass ein Anspruch auf die Leistung bestanden hätte, wenn der Antrag rechtzeitig gestellt worden wäre, reiche für das Vorliegen einer unbilligen Härte nicht aus. Auch liege keine Verletzung der Aufklärungs- und Beratungspflicht durch die Beklagte vor, da die Klägerin nicht mit einem konkreten Beratungsbegehren an diese herangetreten sei. Für das Gericht sei nicht erkennbar, dass die Beklagte von dem ihr eingeräumten Ermessen in fehlerhafte...