Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstreckung einer Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs 5 S 2 SGB 6 auf eine befristete berufsfremde Beschäftigung. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Voraussetzungen einer Befreiung nach § 6 Abs 1 Nr 1, § 6 Abs 5 S 2 SGB VI.
2. Die Erstreckungsvorschrift des § 6 Abs 5 S 2 SGB VI kann weder unmittelbar noch entsprechend auf Fallgruppen angewendet werden, in welchen die ursprüngliche Befreiung nicht im Hinblick auf Versicherungspflicht aufgrund abhängiger Beschäftigung, sondern im Hinblick auf Versicherungspflicht aufgrund eines - zwischenzeitlich beendeten - Sondertatbestandes (hier: Versicherungspflicht nach § 3 S 1 Nr 3 und § 2 S 1 Nr 10 SGB VI in der bis 31.3.2012 geltenden Fassung) erteilt worden war.
Orientierungssatz
Die Ungleichbehandlung, die daraus resultiert, dass bei von der Versicherungspflicht befreiten grundsätzlich versicherungspflichtig beschäftigten Rechtsanwälten eine Erstreckung nach § 6 Abs 5 S 2 SGB 6 auch auf andere (zeitlich befristete berufsfremde) versicherungspflichtige Tätigkeiten möglich ist, wohingegen eine solche Möglichkeit für selbstständige Rechtsanwälte, die grundsätzlich nicht der Versicherungspflicht unterliegen, nicht existiert, verletzt nicht den Gleichheitssatz nach Art 3 GG.
Normenkette
SGB VI § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 5 S. 2, § 3 S. 1 Nr. 3, § 2 S. 1 Nr. 10 Fassung: 2007-05-01; GG Art. 3; SGG § 160 Abs. 1-2
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 21. September 2017 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 20.08.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.04.2015 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Befreiung von der Versicherungspflicht für die Beschäftigung der Klägerin bei der Stadt W. im Wege der Erstreckung aufgrund ihrer selbstständigen Tätigkeit als Rechtsanwältin.
Die am 04.06.1977 geborene Klägerin ist seit 02.08.2005 Pflichtmitglied in der Versorgungseinrichtung "Bayerische Rechtsanwalt- und Steuerberaterversorgung" und der Berufskammer.
Mit Bescheid vom 05.12.2005 wurde sie für die Zeit ab 02.08.2005 von der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung als Rechtsanwältin bei zurzeit bestehender Arbeitslosigkeit befreit. Mit weiterem Bescheid vom 13.12.2005 befreite die Beklagte die Klägerin wegen des Bezuges eines Existenzgründerzuschusses bei Versicherungspflicht gem. § 2 Satz 1 Nr. 10 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) von der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung ab 01.09.2005.
Mit Bescheid vom 06.02.2006 wurde die Klägerin hinsichtlich einer Tätigkeit als Sachbearbeiterin bei der Agentur für Arbeit N. gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI befreit. Die Befreiung galt für die zeitlich befristete Beschäftigung vom 12.10.2005 bis 11.10.2007. Mit Bescheid vom 01.02.2008 erfolgte die Befreiung hinsichtlich der Tätigkeit bei der Agentur für Arbeit bis 31.12.2007. Insoweit wurde der Bescheid vom 06.02.2006 abgeändert.
Hinsichtlich eines darauffolgenden Beschäftigungsverhältnisses bei der Firma P. GmbH wurde die Klägerin mit Bescheid vom 29.07.2008 gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI für die Zeit vom 01.03.2008 bis 31.08.2008 aufgrund zeitlich befristeter Beschäftigung befreit. Eine weitere Befreiung erfolgte mit Bescheid vom 04.12.2008, ebenfalls hinsichtlich einer Tätigkeit bei der P. GmbH.
Aufgrund einer erneuten befristeten Beschäftigung als Sachbearbeiterin beim Landratsamt N. erfolgte für die zeitlich befristete Beschäftigung dort vom 14.12.2009 bis 31.12.2010 mit Bescheid vom 03.03.2010 eine Befreiung. Auch diese Befreiung erfolgte gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI. Mit weiterem Bescheid vom 05.07.2011 erfolgte ebenfalls eine Befreiung für die Tätigkeit als Sachbearbeiterin beim Landkreis N. vom 01.01.2011 bis 13.12.2011.
Mit Bescheid vom 09.02.2012 wurde die Klägerin hinsichtlich einer erneuten zeitlich befristeten Beschäftigung als Sachbearbeiterin bei der Stadt W. vom 01.02.2012 bis 31.01.2013 gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB IV befreit.
Mit Antrag vom 14.01.2013 machte die Klägerin eine weitere Befreiung von der Versicherungspflicht für die Dauer ihres zeitlich befristeten Beschäftigungsverhältnisses vom 01.02.2013 bis 31.01.2014 als Sachbearbeiterin bei der Stadt W. geltend.
Mit Bescheid vom 20.08.2013 lehnte die Beklagte eine Befreiung ab. Der 12. Senat des Bundessozialgerichts habe am 31.10.2012 (B 12 R 3/11 und B 12 R 5/10 R) entschieden, dass eine Erstreckung gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr.1 i.V.m. § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI nur möglich sei, wenn und solange die Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI vorlägen. Es liege keine aktuell wirksame Befr...