Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Hilfsmittelvertrag. Verfassungs- und Europarechtskonformität des ermäßigten Steuersatzes bei der Vergütung von Sondennahrung. Nebenpflichten des Leistungserbringers im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Vertrages
Orientierungssatz
1. Für Sondennahrung gilt nicht der normale, sondern der ermäßigte Umsatzsteuersatz. Dies verstößt weder gegen Verfassungs- noch gegen Europarecht (vgl LSG Mainz vom 2.8.2007 - L 5 KNK 1/06).
2. Eine Krankenkasse hat kein Recht, zu beanstanden, dass ein Leistungserbringer einer Auslegung der Bestimmungen des UStG durch die Steuerverwaltung folgend, erbrachte Leistungen mit dem vollen Umsatzsteuersatz belegt.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 24. Mai 2006 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird zugelassen.
IV. Der Streitwert wird in Höhe der Klageforderung auf 5.490,64 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Streitig ist, in welcher Höhe die Beklagte der Klägerin Umsatzsteuer zu zahlen hat für Sondennahrung, die die Beklagte als vertragliche Leistungserbringerin liefert.
1.
Die Klägerin produziert enterale Nahrung und Zubehör, d.h. diätetische Flüssigkeiten, die geeignet und bestimmt sind, für Erkrankte die Ernährung mit Lebensmitteln zu ersetzen. Betroffen sind Personen, die wegen Erkrankungen im Mund oder Rachen, insbesondere wegen Tumorerkrankungen nicht in der Lage sind, oral Nahrungsmittel aufzunehmen und deshalb enteral, d.h. per Magensonde mit Applikationssystem ernährt werden. Sie erhalten das auf ihren Bedarf abgestimmte (bilanzierte) Lebensmittel durch ein keimfreies geschlossenes System, das aus einem abgefüllten Nahrungsmittel im Beutel oder Flasche sowie Schlauchsystem besteht. Die Schlauchversorgung erfordert, dass das Nahrungsmittel fließfähig ist.
Streitig ist die Versorgung mit den Produkten Nutrison sowie Biosorb, die als vollbilanzierte Lebensmittel einen Brennwert von 75 bzw. 150 kcal/100 ml aufweisen und neben 77% bzw. 88% Wasser aus Fett, Kohlehydraten, Eiweißen, Mineralstoffen und Spurenelementen bestehen. Die Mineralstoffmenge führt dazu, dass bei Versorgung allein mit Nutrison oder Biosorb Dehydrierung einträte, die Patienten also eine tödliche "Versalzung" erlitten.
2.
Mit Schreiben vom 12.03.2001 ließ die Beklagte die Klägerin zur Versichertenversorgung mit Präparaten der enteralen Ernährung zu. Angegeben waren eine Versorgung der Sondennahrung und Überleitungssysteme "zuzüglich Mehrwertsteuer". Dementsprechend versorgte die Klägerin eine Vielzahl von Versicherten, u.a. die Personen B., O., W. und H. mit den entsprechenden Präparaten und Schlauchernährungssystemen sowie Verbandsmaterialien, stellte die Leistung der Beklagten in Rechnung, die darauf die vertraglich geschuldete Zahlung erbrachte.
Ab 2003 kam es zu Differenzen in welcher Höhe die Beklagte der Klägerin auf diese Leistungen Umsatzsteuer zahlen müsste. Die Beigeladene vertrat durch ihre Finanzverwaltung ab 01.01.2003 die Auffassung, bei den gelieferten Präparaten handele es sich um Getränke, die mit dem regelmäßigen Steuersatz von 16 % belegt seien. Die bisherige Praxis, den für Lebensmittel geltenden ermäßigten Steuersatz von 7 % anzuwenden, sei nicht zutreffend und aufzugeben. Daraufhin stellte die Klägerin der Beklagten ihre Leistungen mit den Nettobeträgen zuzüglich 16% Umsatzsteuer in Rechnung. Die Beklagte behielt die Auffassung bei, es handele sich bei den Präparaten nicht um Getränke, sondern um Lebensmittel und erstattete deshalb auf die unstreitigen Nettobeträge nur 7% Umsatzsteuer statt 16% wie von der Klägerin in Rechnung gestellt.
3.
Nach fruchtloser Mahnung vom 27.08.2003 zur Zahlung bis 10.09.2003 hat die Klägerin die Beklagte auf Zahlung von 5.490,64 EUR zuzüglich Verzugszinsen verklagt. Wegen der Praxis und der nicht zuletzt europarechtlich bedingten Rechtsauffassung der Beigeladenen spätestens seit 01.01.2003 müsse sie auf die gelieferten Präparate nach unstreitiger Bemessungsgrundlage 16 % Umsatzsteuer abführen. Dies habe auch eine Zolltarifauskunft für Umsatzsteuerzwecke vom 21.11.2000 ergeben. Gemäß Leistungsvereinbarung vom 12.03.2001 sei der entsprechende Umsatzsteuersatz auch zu vergüten.
Die Beklagte hat erwidert, in einem Musterprozess wende sie sich sich gegen die unzutreffende Auffassung der Beigeladenen, bei den gelieferten Leistungen handele es sich um Getränke. Diese seien aber als Nahrungsmittel nur mit 7 %, dem ermäßigten Umsatzsteuersatz belegt.
Am 24.05.2006 hat das Sozialgericht die Beklagte zur Zahlung verurteilt, weil sie vereinbarungsgemäß verpflichtet sei, die Leistungen der Klägerin zuzüglich Umsatzsteuer zu erstatten. Die Höhe des Umsatzsteuersatzes richte sich nach der Beurteilung der Finanzbehörden. Daran sei die Klägerin gebunden und die Beklagte in der Folge zur entsprechenden Zahlung verpflichtet.
Dagegen hat die Beklagte Berufung eingelegt ...