Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Rentenversicherung: Versicherungsschutz bei eingebrachten Leiden
Leitsatz (amtlich)
Der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Rentenversicherung erstreckt sich grundsätzlich auch auf sogenannte eingebrachte Leiden. Die Versicherten werden mit allen Krankheiten und Behinderungen in die gesetzliche Rentenversicherung aufgenommen; es gibt keinen Ausschluss aus der Versicherung wegen so genannter eingebrachter Leiden (BSG, 10. Dezember 2003, B 5 RJ 64/02 R).
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 12.11.2015 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger für die beigeladene Versicherte von der Beklagten die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung beanspruchen kann.
Die 1990 geborene Versicherte ist türkische Staatsangehörige. Nach dem Versicherungsverlauf vom 24.10.2013 absolvierte sie die Schulausbildung (mit Übergangszeit) bis zum 31.08.2007 (Hauptschulabschluss am 20.07.2007 nach Berufsvorbereitungsjahr). Für die Zeit vom 03.09.2007 bis 06.03.2010 (31 Monate) sind Pflichtbeitragszeiten aufgrund beruflicher Ausbildung verzeichnet (erfolgreicher Abschluss der Ausbildung zur Änderungsschneiderin am 06.03.2010). Im Anschluss sind im Versicherungsverlauf Pflichtbeitragszeiten aufgrund Arbeitslosigkeit vom 10.03.2010 bis 31.12.2010 aufgeführt (10 Monate). Des Weiteren war die Versicherte im Rahmen eines Minijobs geringfügig versicherungsfrei beschäftigt (16.08.2010 bis 21.08.2010, 30.09.2010 bis 31.12.2010, 01.01.2011 bis 07.01.2011). Für die Zeit vom 01.01.2011 bis 08.03.2011 sind wiederum Pflichtbeitragszeiten aufgrund Arbeitslosigkeit vermerkt.
Die Versicherte nahm ab dem 14.03.2011 an einer medizinisch-beruflichen Rehabilitationsmaßnahme in einer Übergangseinrichtung für Menschen mit Psychose und Sucht oder mit psychischer Erkrankung teil (Haus R. des Caritasverbandes E-Stadt). Kostenträger für die ersten 10 Behandlungswochen war die AOK Bayern (Bescheid vom 07.03.2011). Mit Bescheid vom 13.07.2011 bewilligte die Beklagte diese Rehabilitation ab der 11. Woche in Form der Kostenübernahme für eine stationäre Maßnahme (RPK-Maßnahme: Maßnahme in einer Rehabilitationseinrichtung für psychisch kranke und behinderte Menschen). Die Bewilligung erfolgte zunächst für 13 Wochen und wurde nachfolgend aufgrund der Verlaufsberichte des Hauses R. verlängert.
Nach dem Verlaufsbericht des Hauses R. vom 18.04.2011 bestanden bei der Versicherten die folgenden Erkrankungen:
- Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS) mit Störung des Sozialverhaltens (F90.1)
- Essstörung/Adipositas (F50.4)
- Emotionale Retardation (F89)
- Rezidivierende Enuresis nocturna (F98.00)
Die Versicherte habe (nach der Grundschule bis 2001 und Schule zur Lernförderung R-Stadt bis 2004) bis 2005 das Sonderpädagogische Förderzentrum II E-Stadt besucht, 2005 das Sonderpädagogische Förderzentrum I S-Stadt. Das Berufsvorbereitungsjahr dort habe sie nicht geschafft. Am 02.05.2006 sei die Versicherte in die heilpädagogisch-therapeutische Einrichtung für Mädchen und junge Frauen nach St. L. gekommen (A.-Zentrum) und habe dort im Juli 2007 ihren Hauptschulabschluss absolviert. Von 2007 bis 2010 habe sie in St. L. die interne Berufsschule (P.-Schule, Schule zur Erziehungshilfe) besucht und mit dem 06.03.2010 eine Ausbildung zur Änderungsschneiderin mit Erfolg beendet. Nach der Ausbildung sei die Versicherte nach W-Stadt in eine Außengruppe des A.-Zentrums gekommen. Dort sei sie nur einen Monat bis zum 12.04.2010 geblieben und sei dann in die Einrichtung der WAB (WAB K. gemeinnützige GmbH, Wohnen, Arbeiten, Befähigen) in H-Stadt gezogen. In der WAB H-Stadt habe die Versicherte die Regeln als strenger empfunden und erhebliche Schwierigkeiten im Sozialverhalten gehabt, auch bezüglich Zuverlässigkeit und Durchhaltevermögen. Nach der Entlassung aus der WAB H-Stadt im Juli 2010 sei die Versicherte zunächst nach Hause zu ihrer Mutter und danach zu ihrem Freund gezogen. Sowohl zu Hause als auch in der Beziehung zu ihrem Freund habe es massive Konflikte gegeben. Trotz intensiver Unterstützung durch die Betreuerin und therapeutischer Angebote der Psychiatrischen Institutsambulanz (P.) habe es anhaltende Schwierigkeiten auch in der selbstverantwortlichen Tagesstrukturierung gegeben. Der strukturierte Tagesablauf im Haus R. wirke sich positiv auf die Erkrankung der Versicherten aus. Sie habe in den ersten fünf Wochen viel Engagement gezeigt, den Therapieplan zu erfüllen. Sie sei sehr motiviert, an der Rehabilitationsmaßnahme weiter teilzunehmen. Bei einem weiteren positiven Verlauf sei eine erfolgreiche Wiedereingliederung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu erwarten.
Aufgrund des weiteren Verlaufsberichts des Hauses R. vom 08.08.2011 verlängerte die Beklagte die Rehabilitationsmaßnahme bis zum 27.09.2011 und nachfolgend bis zum bis zum 20.11.2011. Nach dem Bericht nehme die Versicherte ...