Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattung von Behandlungskosten. Selbstbeschaffte Leistung. LITT-Methode. Lebensbedrohliche Erkrankung. Leistungsangebot. Beratungspflicht. Systemversagen. Wirksamkeit Chemotherapie. Randomisierte Studien. Gleichwertige Therapieoptionen
Leitsatz (redaktionell)
Bestehen bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung keine gleichwertigen Therapieoptionen bzw. hat die Krankenkasse über anderweitige in Betracht kommende Therapiemöglichkeiten nicht ausreichend belehrt, sind die Kosten einer selbstbeschafften Leistung nach der LITT-Methode im Rahmen des § 13 Abs. 3 SGB V grundsätzlich erstattungsfähig.
Normenkette
SGB V § 13 Abs. 3, § 12 Abs. 1, § 15 Abs. 1, § 2 Abs. 1 S. 3, § 28 Abs. 1 S. 1, § 275 Abs. 1 Nr. 1; SGB I § 14; GG Art. 2 Abs. 1-2
Tenor
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 10. Oktober 2002 und der Bescheide vom 3. Mai 2001 und 7. Mai 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juni 2001 verurteilt, der Klägerin die Kosten der Behandlung mit der laserinduzierten Thermotherapie (LITT) in Höhe von EUR 5.604,57 zu erstatten.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge und des Revisionsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die September 1939 geborene und bei der Beklagten als Rentnerin versicherte Klägerin litt nach dem Befundbericht des praktischen Arztes Dr. P. vom 23. August 2001 u.a. an einem hepatozellulären Karzinom, das im Februar/März 2001 durch Entnahme einer Leberprobe diagnostiziert wurde. In der Universitätsklinik U. wurde der Befund im April 2001 als inoperabel angesehen, bei der Klägerin eine Chemotherapie begonnen und - nach deren Angaben - wegen Unverträglichkeit wieder abgebrochen. Anschließend beantragte sie am 30. April 2001 die Übernahme der Kosten einer von ihr beabsichtigten, vom Direktor des Instituts für diagnostische und interventionelle Radiologie des Universitätsklinikums F. , Prof. Dr. V. , durchzuführenden ambulanten LITT zur Zerstörung einer Lebermetastase. Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme mit den Bescheiden vom 3. und 7. Mai 2001 ab; bei der LITT handle es sich um eine nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlungsmethode. Die Klägerin legte hiergegen Widerspruch ein.
Während des Widerspruchverfahrens führte Prof. Dr. V. bei der Klägerin am 17. Mai 2001 die LITT ambulant durch. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2001 zurück; der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen habe sich mangels Antragstellung bisher nicht mit der LITT befasst. Die LITT gehöre nicht zu den von den Krankenkassen zu erbringenden Sachleistungen. Mit der Rechnung vom 6. Juli 2001 hat das Krankenhaus für die Behandlung von der Klägerin 10.961,59 DM gefordert.
Die Klägerin hat hiergegen am 9. Juli 2001 beim Sozialgericht Augsburg (SG) Klage erhoben. Den beigefügten ärztlichen Bescheinigungen von Prof. Dr. S. und Dr. B. vom 2. Juli 2001 bzw. 3. Juli 2001 sei zu entnehmen, dass alle bisherigen etablierten therapeutischen Methoden beim hepatozellulären Karzinom eine nur sehr begrenzte Wirksamkeit zeigten und der Befund inoperabel gewesen sei. Es sei besser, wenn der Tumor durch eine direkte, lokale Einwirkung zerstört werden könne. Eine derartige Therapie sei bei der Klägerin noch nicht durchgeführt worden. Es handle sich hierbei nicht um ein Außenseiterverfahren, sondern um eine unter besten wissenschaftlichen Voraussetzungen durchgeführte kurative Medizin.
Im Arztbrief vom 20. August 2001 hat Prof. Dr. V. dem behandelnden Arzt der Klägerin eine hepatische Vollremission mitgeteilt. Dieser Befund ist in zahlreichen Nachuntersuchungen der Klinik bis August 2002 bestätigt worden.
Das SG hat mit Urteil vom 10. Oktober 2002 die Klage abgewiesen. Die Beklagte sei zur Kostenerstattung für die neuartige Behandlungsmethode nicht verpflichtet; ein Verfahren vor dem Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen sei bislang noch nicht eingeleitet worden. Zur Prüfung, ob ein Verfahren einzuleiten sei, haben die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung am 18. Januar 2002 ein sogenanntes HTA -Gutachten erstellen lassen, das sich eingehend mit den bisher vorliegenden Veröffentlichungen zur LITT befasst habe und zu dem Ergebnis gekommen sei, dass ein Wirksamkeitsnachweis noch nicht vorliegt und weitere kontrollierte Studien erforderlich sind.
Auf die Berufung der Klägerin gegen dieses Urteil vom 28. März 2003, mit der sie geltend gemacht hat, eine Operation des Karzinoms sei für sie nicht infrage gekommen und sie habe die Chemotherapie schlecht vertragen, hat der Senat nach Beiziehung der ärztlichen Befunde und Krankenhausunterlagen mit Urteil vom 19. Januar 2006 die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des SG vom 10. Oktober 2002 und der Bescheide vom 3. Mai 2001 und 7. Mai 2001 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 21. Juni 2001 verurteilt, der Klägerin die Kosten der...