Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Gemeinsamer Bundesausschuss. Bedarfsplanung. Einbeziehung von Arztgruppen mit weniger als 1000 Ärzten. Rechtmäßigkeit des prozeduralen Entscheidungsmoratoriums vom 6.9.2012

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Einbeziehung von Arztgruppen mit weniger als 1000 Ärzten in die Bedarfsplanung durch die Festsetzung von Verhältniszahlen ist nach pflichtgemäßem Ermessen des Gemeinsamen Bundesausschusses möglich.

2. Der Gemeinsame Bundesausschuss konnte das prozedurale Entscheidungsmoratorium vom 6.9.2012 (§ 48 Abs 1 Nr 4, Abs 2 BedarfsplRL (juris: ÄBedarfsplRL) auf der Grundlage von § 104 Abs 2 SGB 5 zur Sicherung des umfassenden Auftrags zur Neuordnung der vertragsärztlichen Bedarfsplanung durch das GKV- Versorgungsstrukturgesetz - GKV-VStG erlassen. § 19 Abs 1 S 2 Ärzte-ZV erfasst diesen Fall einer Rechtsänderung, die die Grundlagen der Bedarfsplanung beeinflusst, nicht (vgl BSG vom 17.10.2007 - B 6 KA 45/06 R = SozR 4-2500 § 103 Nr 4).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 04.05.2016; Aktenzeichen B 6 KA 24/15 R)

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 20.03.2014 wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Genehmigung der Anstellung eines Strahlentherapeuten.

Mit Antrag vom 19.12.2012, beim Zulassungsausschuss eingegangen am 20.12.2012, beantragte der Kläger die Genehmigung der Beschäftigung des Strahlentherapeuten Dr. C. in seiner strahlentherapeutischen Praxis in A-Stadt.

Am 15.2.2013 ordnete der Landesausschuss eine Zulassungsbeschränkung für Strahlentherapeuten in Bayern wegen Überversorgung an.

Aufgrund des Beschlusses vom 5.6.2013 lehnte der Zulassungsausschuss den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 19.6.2013 ab. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und trug zur Begründung vor, dass der vollständige Antrag auf Genehmigung der Anstellung des Strahlentherapeuten Dr. C. vor der Veröffentlichung des Beschlusses des Landesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Zulassungsbeschränkungen am 8.3.2013 gestellt worden sei. Die nachträglich angeordnete Zulassungssperre könne diesem Antrag nicht entgegengehalten werden. Diesem Ergebnis stehe auch der Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) vom 6.9.2012 nicht entgegen, da dieser insoweit keine Regelungskompetenz gehabt habe und damit ein Verstoß gegen höherrangiges Recht vorliege. § 19 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV lege fest, dass ein Antrag wegen Zulassungsbeschränkungen nur dann abgelehnt werden könne, wenn diese bereits bei Antragstellung angeordnet waren. Mit Bescheid vom 14.11.2013 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Nach § 95 Abs. 9 Satz 1 SGB V könne eine Anstellungsgenehmigung erteilt werden, wenn keine Zulassungsbeschränkungen angeordnet seien. Nach § 48 Abs. 2 Satz 3 Bedarfsplanungsrichtlinie, geändert mit Beschluss vom 6.9.2012, seien Anträge von Strahlentherapeuten wegen Zulassungsbeschränkungen auch dann abzulehnen, wenn diese noch nicht bei der Antragstellung angeordnet waren. Gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 Bedarfsplanungsrichtlinie könne der Zulassungsausschuss erst dann entscheiden, wenn der Landesausschuss die Feststellung nach § 103 Abs. 1 S. 1 SGB V getroffen habe. Vorliegend habe der Landesausschuss mit Beschluss vom 15.2.2013 eine Überversorgung für die Arztgruppe der Strahlentherapeuten festgestellt und für den Planungsbereich Bayern eine Zulassungsbeschränkung angeordnet. Der Versorgungs- grad betrage 161,6 %.

Hiergegen legte der Kläger Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) ein. Zur Begründung verwies er auf § 19 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV. Danach könne ein Antrag wegen Zulassungsbeschränkungen nur dann abgelehnt werden, wenn diese bereits bei Antragstellung angeordnet waren. Diese Vorschrift habe der GBA zu umgehen versucht. Der Moratoriumsbeschluss vom 6.9.2012 in § 48 Bedarfsplanungsrichtlinie, nach dem Anträge auf Erteilung einer Anstellungsgenehmigung erst verbeschieden werden dürften, sobald der Landesausschuss auf der Basis der neuen Bedarfsplanungsrichtlinie über eine Überversorgung entschieden habe, verstoße gegen § 19 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV. Durch diese Regelung würden faktisch Zulassungsbeschränkungen für einen Zeitraum verhängt, in dem die betroffenen Arztgruppen überhaupt noch nicht der Bedarfsplanung unterlagen. Auch habe der Gesetzgeber keine Übergangsregelungen vorgesehen. Der Moratoriumsbeschluss greife darüber hinaus in unverhältnismäßiger und rechtswidriger Weise in Grundrechtspositionen etwaiger Antragsteller ein. Die Vorgehensweise des GBA sei als "Nacht- und Nebelaktion" zu bezeichnen.

Die Beigeladene zu 1) führte demgegenüber aus, dass der GBA durch einfache Änderung der Bedarfsplanungsrichtlinie bestimmen könne, welche Fachgebiete der Bedarfsplanung unterlägen. Aus dieser Kompetenz ergebe sich auch die funktionelle Zuständigkeit des GBA, eine Regelung zu erlassen, nach der über Zulassungsanträg...

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