Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. sachlicher Zusammenhang. Handlungstendenz. Aufsuchen einer öffentlichen Toilette zur Verrichtung der Notdurft. Ende des Versicherungsschutzes: Durchschreiten der Außentür der Toilettenanlage. Sturz in Toilettenvorraum. besondere Gefahrensituation
Leitsatz (amtlich)
1. Unterbricht ein Versicherter den Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit, um eine öffentliche Toilette zur Verrichtung der Notdurft aufzusuchen, endet der Versicherungsschutz spätestens mit Durchschreiten der Außentür der Toilettenanlage, nicht erst mit der Tür der Toilettenkabine.
2. Es besteht hierbei kein Versicherungsschutz wegen einer besonderen Gefahrensituation innerhalb der Toilettenanlage.
Orientierungssatz
Hinweis der Dokumentationsstelle des Bundessozialgerichts: Nachdem die Klage vor dem BSG zurückgenommen wurde, ist dieses Urteil sowie das vorinstanzliche Urteil des SG München (S 9 U 462/11) wirkungslos.
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 14. März 2013 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 13. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juni 2011 abgewiesen.
II. Die Anschlussberufung wird zurückgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind der Klägerin in beiden Instanzen nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob es sich bei dem Ereignis vom 02.08.2010 um einen Arbeitsunfall handelt.
Die 1960 geborene Klägerin, Berufungsbeklagte und -klägerin, Angestellte bei der Messe B-Stadt, wollte am 02.08.2010 gegen 13.00 Uhr bei der Heimfahrt von ihrer Arbeitsstelle von der U-Bahn kommend ein WC im S-Bahnhof B-Stadt aufsuchen. Im Toilettenbereich rutschte sie auf nassem Fliesenboden aus; sie stürzte auf die linke Seite. Die Klägerin fuhr nach Hause und versorgte sich zunächst selbst. Sie meldete den Schadensfall noch am selben Tag dem M.V.T. (MVV) und schilderte die vorgefundene Situation in der Toilettenanlage. Am 04.08.2010 suchte sie den H-Arzt Dr. B. auf. Nach dem Ergebnis einer Kernspintomographie des linken Schultergelenks vom 05.08.2010 wurde keine Ruptur oder signifikante Teilruptur der Supra- und Infraspinatussehne festgestellt. Eine weitere Kernspintomographie erfolgte am 25.11.2010.
Mit Bescheid vom 13.01.2011 lehnte die damalige Unfallkasse B-Stadt, deren Rechtsnachfolger die Beklagte ist, die Feststellung eines Arbeitsunfalls ab. Durch den Gang zur Toilette sei der Nachhauseweg unterbrochen worden. Bei der Verrichtung der Notdurft und dem dazugehörigen Aufenthalt in der Toilette handele es sich um eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit; zu diesem Zeitpunkt sei der innere Zusammenhang mit der Zurücklegung des Weges von der Arbeit nach Hause nicht mehr gegeben gewesen. Bereits das Durchschreiten der Toilettentür sei nicht mehr als versicherte Tätigkeit anzusehen.
Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, eine Unterbrechung des versicherten Weges habe nicht vorgelegen. Das Aufsuchen der Bahnhofstoilette zur Verrichtung der Notdurft stelle keine Unterbrechung des Weges dar. Die Rechtsprechung habe für das Verrichten der Notdurft auf der Arbeitsstätte von jeher Versicherungsschutz angenommen. Deshalb müsse diese Entscheidung auch auf den Wegen von und zur Arbeit gelten. Eine Unterbrechung des direkten Weges hätte ebenfalls nicht vorgelegen, da die WC-Räume unmittelbar im S-Bahnhof B-Stadt gelegen hätten.
Den Widerspruch vom 31.01.2011 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.06.2011 zurück. Der versicherte Weg endete an der Toilettentür. Folglich stehe erst recht der Aufenthalt bzw. die Verrichtung der Notdurft in der Toilette nicht mehr unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Versicherungsschutz lebe erst mit dem Verlassen der Toilettenräume wieder auf.
Dagegen hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht München erhoben und zur Begründung im Wesentlichen auf die im Widerspruchsverfahren Bezug genommen. Der Sturz habe sich im Vorraum der Toilettenkabinen, also auf dem Weg zur Toilettenkabine und zur Verrichtung der Notdurft, ereignet. Der Weg werde nicht durch das Schließen der Tür zum Vorraum der Toilette beendet.
In der mündlichen Verhandlung vom 14.03.2013 hat die Klägerin das Sturzereignis näher geschildert. Der MVV habe auf das Vorliegen eines Arbeitsunfalls hingewiesen. Mit Urteil vom 14.03.2013 hat das Sozialgericht festgestellt, dass es sich bei dem Ereignis vom 02. 08.2010 um einen bei der Beklagten versicherten Arbeitsunfall handelt. Unstreitig habe sich die Klägerin bei ihrem Weg durch den S-Bahnhof B-Stadt auf einem unmittelbaren Weg von ihrer Arbeitsstelle zu ihrer Wohnung befunden. Das Ereignis im Toilettenvorraum sei in den Versicherungsschutz einbezogen. Grundsätzlich sei zwar die Verrichtung der Notdurft als eigenwirtschaftlich zu betrachten. Eine Zurechnung eines Unfallgeschehens zu dem Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung sei aber gerechtfertigt, wenn der Unfall nicht im Zusammenhang mit typischen,...