Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung rückwirkend ab dem Beginn einer bereits gezahlten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wird rückwirkend ab dem Beginn einer bereits gezahlten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung und bei unverändertem gesundheitlichen Leistungsvermögen eine arbeitsmarktbezogene volle Erwerbsminderungsrente zuerkannt, so kann der Rentenversicherungsträger die Aufhebung der bisherigen Regelung über die Gewährung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung weder auf § 48 SGB X noch auf § 45 SGB X stützen.

2. In dieser Fallgestaltung ist hinsichtlich der Zahlungsansprüche des Versicherten der Rechtsgedanke des § 89 Abs 1 SGB VI umzusetzen und zwar insoweit, als er sich den Zahlbetrag der bereits in der Vergangenheit erhaltenen teilweisen Erwerbsminderungsrente anrechnen lassen muss, falls nach Abzug etwaiger Erstattungsansprüche anderer Sozialleistungsträger noch ein Nachzahlungsbetrag aus der vollen Erwerbsminderungsrente verbleibt.

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 11.08.2015 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin verpflichtet ist, die von ihr in der Zeit vom 01.10.2010 bis 28.02.2014 bezogene Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in Höhe von 6.436,78 € zurückzuzahlen.

Die 1973 geborene Klägerin hat eine Ausbildung zur Groß- und Außenhandelskauffrau in der Zeit vom 01.09.1992 bis 30.04.1993 absolviert, die Abschlussprüfung jedoch nicht bestanden. Bereits zuvor hatte die Klägerin in der Zeit von 1990 bis 1992 eine Ausbildung als Bürogehilfin absolviert, so dass sie nach April 1993 bis 2010 in dieser Tätigkeit durchgehend bei einem Steuerbüro versicherungspflichtig beschäftigt war.

Am 08.04.2009 erlitt die Klägerin einen Schlaganfall, der zu einer linksseitigen Hemiparese und einer zentralen Fazialisparese links, einer Dysarthrie und Neglect für die linke Seite führte. Aus einer stationären medizinischen Rehabilitation im Medical Park Bad R. in der Zeit vom 27.04.2009 bis 25.05.2009 wurde sie als arbeitsunfähig, jedoch mit einem Leistungsvermögen von mehr als sechs Stunden sowohl für die letzte Tätigkeit als Angestellte in einem Steuerbüro als auch den allgemeinen Arbeitsmarkt entlassen.

Am 25.05.2010 beantragte die Klägerin die Gewährung von Erwerbsminderungsrente bei der Beklagten. Diese holte ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. D. ein, die am 30.06.2010 zu dem Ergebnis gelangte, dass die Klägerin gegenwärtig ein drei- bis unter sechsstündiges Leistungsvermögen sowohl für ihre letzte Tätigkeit als auch für den allgemeinen Arbeitsmarkt habe. Die geminderte Erwerbsfähigkeit bestehe seit 30.06.2010 und könne innerhalb von 1 1/2 Jahren (12/2011) einer Besserung zugeführt werden. Die Beklagte lehnte daraufhin jedoch zunächst mit Bescheid vom 17.08.2010 eine Rentengewährung mit der Begründung ab, dass die Klägerin noch in der Lage sei, Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten.

Mit Schreiben vom 10.08.2010 meldete die BIG direkt gesund (Krankenkasse der Klägerin) einen Erstattungsanspruch nach § 103 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X - bei der Beklagten an, da die Klägerin Krankengeld von ihr erhalte. Der Erstattungsanspruch wurde mit Schreiben der Beklagten ohne Datum mit dem Hinweis abgelehnt, dass keine Rente gewährt werde.

Mit Schreiben vom 24.08.2010 wies der Integrationsfachdienst ifd A-Stadt die Beklagte darauf hin, dass die geplante Wiedereingliederung der Klägerin mit drei Stunden täglich bei ihrem bisherigen Arbeitgeber noch nicht habe gesteigert werden können. Ein früherer Versuch, die Klägerin mindestens sechs Stunden täglich in ihrem bisherigen Arbeitsverhältnis wieder einzugliedern, sei nach kurzer Zeit gescheitert gewesen. Es werde derzeit mit dem Arbeitgeber die Möglichkeit eines Teilzeitarbeitsplatzes geprüft. Die Klägerin sei aber weniger als sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes einsatzfähig.

Gegen den Bescheid vom 17.08.2010 legte die Klägerin mit Schreiben vom 24.08.2010 Widerspruch ein mit dem Hinweis, dass die Entscheidung der Beklagten im Widerspruch zum ärztlichen Gutachten vom 30.06.2010 stehe. Sie habe im Oktober 2009 die Arbeit mit acht Stunden wieder aufgenommen, zunehmend habe sie aber selbst erkennen müssen, dass sie dieser Belastung körperlich und insbesondere auch nervlich doch nicht gewachsen sei.

Die Beklagte gewährte sodann mit Bescheid von 11.05.2011 der Klägerin auf ihren Antrag vom 25.05.2010 hin Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bestehe nicht. Die Rente beginne am 01.10.2010 und sei befristet bis zum 31.12.2012. Die Rente betrage laufend monatlich 283,90 €. Für die Zeit vom 01.10.2010 bis 30.06.2011 betrage die Nachzahlung...

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