Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeldanspruch. Erfüllung der Anwartschaftszeit. Versicherungspflichtverhältnis wegen Erziehung von Kindern. europarechtliche Sachverhaltsgleichstellung der österreichischen Versicherungspflicht vor Eintritt der Kindererziehung. Nichtberücksichtigung der österreichischen Vorversicherung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur europarechtlichen Sachverhaltsgleichstellung in Bezug auf die in § 26 Abs 2a S 1 Nr 1 SGB III geforderte Vorversicherung unmittelbar vor der Kindererziehung.

2. Zur Abgrenzung der europarechtlichen Koordinierungsinstrumente Zusammenrechnung von Zeiten einerseits und Sachverhaltsgleichstellung andererseits.

 

Orientierungssatz

1. Das nationale Arbeitsförderungsrecht muss dahin ausgelegt werden, dass die Versicherungspflicht iS von § 26 Abs 2a S 1 Nr 1 SGB III gerade in der deutschen Arbeitslosenversicherung bestanden haben muss.

2. Im Rahmen von § 26 Abs 2a SGB III ist eine Gleichstellung der österreichischen Versicherungspflicht vor Eintritt der Kindererziehung weder nach Art 5 EGV 883/2004 noch nach primärem Europarecht geboten.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 26.02.2019; Aktenzeichen B 11 AL 15/18 R)

 

Tenor

I. Auf die Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 13. Januar 2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Das Berufungsverfahren betrifft die Gewährung von Arbeitslosengeld (ALG) ab 01.04.2013. Strittig ist, ob die Klägerin die erforderliche Anwartschaftszeit erfüllt hat.

Die 1976 geborene Klägerin ist deutsche Staatsangehörige und lebte zunächst in Deutschland. Im Frühjahr/Sommer 2006 ging sie nach Österreich. Dort heiratete sie 2008 und dort kam auch am 26.02.2010 ihr Sohn N. zur Welt. Beruflich war die Klägerin in Österreich vom 20.11.2006 bis 23.12.2009 bei der Firma K. AG als Arbeitnehmerin tätig und als solche in der österreichischen Arbeitslosenversicherung pflichtversichert. Vom 24.12.2009 bis 23.04.2010 erhielt sie österreichisches Wochengeld/Mutterschaftsgeld wegen der Schwangerschaft und der Geburt von N. und befand sich nach der Geburt in Elternzeit/Erziehungszeit, die bis 30.09.2012 vorgesehen war. Während der Erziehungszeit, und zwar im Januar 2011, verlegte die Klägerin samt ihrer Familie ihren Wohnsitz zurück nach Deutschland. Zum Zeitpunkt ihrer Rückkehr nach Deutschland bezog sie keine österreichischen Familienleistungen.

Zum ersten Mal meldete sich die Klägerin bei der Beklagten am 14.06.2012 arbeitslos und beantragte die Bewilligung von ALG. Im Zuge dessen wurde eine "Bescheinigung von Zeiten, die für die Gewährung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit zu berücksichtigen sind" vom österreichischen Träger der Arbeitsförderung eingeholt. In dieser Bescheinigung vom 20.06.2012 sind Versicherungszeiten vom 20.11.2006 bis 23.12.2009 und vom 27.02.2012 bis 07.03.2012 sowie gleichgestellte Zeiten vom 24.12.2009 bis 23.04.2010 (als Grund der Gleichstellung ist "Wochengeld" angegeben) vermerkt. Den ALG-Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 13.07.2012 ab.

Vom 01.10.2012 bis 31.03.2013 arbeitete die Klägerin in Teilzeit als Assistentin (Projektunterstützung) bei der Firma H. AG. Das Arbeitsverhältnis war von vornherein für die Dauer eines Projekts bis 31.03.2013 befristet. Nach Auslaufen des Projekts wurde die Klägerin nicht weiterbeschäftigt.

Am 27.03.2013 meldete sich die Klägerin abermals, und zwar mit Wirkung vom 01.04.2013, arbeitslos und beantragte die Bewilligung von ALG.

Mit Bescheid vom 17.04.2013 lehnte die Beklagte den ALG-Antrag mit der Begründung ab, die Anwartschaftszeit für das Entstehen eines Anspruchs auf ALG sei nicht erfüllt. Die in Österreich verbrachten Zeiten könnten zur Erfüllung der Anwartschaft nicht herangezogen werden, weil die Klägerin unmittelbar vor Eintritt der Arbeitslosigkeit nicht versicherungspflichtig in der Bundesrepublik Deutschland beziehungsweise als echter oder unechter Grenzgänger beschäftigt gewesen sei; sie berief sich insoweit auf Art. 67 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (im Folgenden: VO (EWG) Nr. 1408/71).

Dagegen legte die Klägerin unter dem Datum 07.05.2013 Widerspruch ein. Zur Begründung verwies sie auf das Merkblatt "Arbeitslosengeld und Auslandsbeschäftigung" der Beklagten, wonach ausländische Zeiten dann berücksichtigungsfähig seien, wenn zwischen der Auslandsbeschäftigung und dem Eintritt der Arbeitslosigkeit und Antragstellung in Deutschland eine versicherungspflichtige Beschäftigung in Deutschland ausgeübt worden sei.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.07.2013 als unbegründet zurück. In der Begründung teilte sie mit, die Rahmenfrist umfasse die Phase 01.04.2011 bis 31.03.2013. In diesem Zeitraum seien nur die Tätigkeit vom 01.10.2012 bis 31.03.2013 bei der H. AG sowie eine Phase der Beschäftigung in Österreich vom 27.02. bis 07.03.2012 an versicherungspflichtigen Beschäftigungszeiten anzurechnen. Die von der Klägerin zurückgelegte Elternzeit kö...

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