Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld. fiktive Bemessung. Zuordnung zur Qualifikationsgruppe. Prognoseentscheidung. Vermittlungsmöglichkeit auch ohne formale Qualifikation. individuelles Leistungsprofil

 

Orientierungssatz

Bei der Zuordnung in die Qualifikationsgruppen des § 132 Abs 2 SGB 3 zur Ermittlung des fiktiven Arbeitsentgeltes ist nicht allein auf den formalen Ausbildungsabschluss abzustellen. Bei der Einschätzung der in erster Linie anzustrebenden Vermittlungsbemühungen sind das individuelle Leistungsprofil und die Berufserfahrung ebenso zu berücksichtigen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 04.07.2012; Aktenzeichen B 11 AL 21/11 R)

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 03.08.2009 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Höhe des Bemessungsentgeltes, das in der Folge einer fiktiven Einstufung zu berücksichtigen ist.

Die Klägerin meldete sich am 27.06.2007 mit Wirkung zum 16.09.2007 - für die Zeit nach dem Ende der Elternzeit - arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg). Sie habe eine Ausbildung zur Medizinisch - Technische Laborassistentin (MTA) abgeschlossen und zuletzt bis 16.08.2004 als Pharmareferentin im Außendienst beitragspflichtiges Arbeitsentgelt (monatliches Fixum 3.087.- €) bezogen.

Mit Bescheid vom 16.08.2007 bewilligte die Beklagte der Klägerin für die Zeit ab dem 16.09.2007 Alg mit einem Leistungssatz von 21,93 € täglich. Hierbei legte sie - im Hinblick auf den Abschluss eines Ausbildungsberufes - ein tägliches Bemessungsentgelt von 65,33 € zugrunde. Die fiktive Einstufung, die mangels Bezuges von Arbeitsentgelt im Bemessungsrahmen zu erfolgen habe, rechtfertige unter Berücksichtigung der Ausbildung der Klägerin lediglich eine Einstufung nach der Qualifikationsstufe 3. Der Leistungsbezug endete mit dem Eintritt der Klägerin in den Mutterschutz am 29.03.2008.

Den Widerspruch vom 10.09.2007 begründete die Klägerin damit, sie habe zuletzt als Pharmareferentin gearbeitet und insoweit Veranstaltungen geplant sowie medizinische Geräte u.a. in Universitätsklinken vorgeführt. Diese Aufgaben habe sie eigenverantwortlich geleitet, so dass ihr Qualifikationsniveau mindestens das eines Meisters erreiche.

Im zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 09.10.2007 führte die Beklagte aus, die Klägerin habe lediglich einen Ausbildungsberuf als MTA absolviert, der mit einer Qualifikation als Meister nicht vergleichbar sei. Auch habe sie keine schulische Fortbildung zum Pharmareferenten durchlaufen, so dass eine Einstufung in die Qualifikationsstufe 2 nicht in Betracht komme.

Mit der hiergegen zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, dass sie aufgrund ihrer theoretischen und praktischen Kenntnisse sowie ihrer Berufserfahrung mit dem Qualifikationsniveau eines Meisters vergleichbar sei. Sie habe selbständig die wissenschaftliche Betreuung der von ihr zu besuchenden Ärzte vorgenommen. Fachveranstaltungen, Seminare, Fortbildungsveranstaltungen und Vorträge habe sie eigenständig geplant, vorbereitet und durchgeführt. Ihr monatliches Durchschnittseinkommen habe im Jahr 2003 - einschließlich Provisionen - mehr als 4.200.- € betragen.

Dem hat die Beklagte entgegengehalten, dass die Klägerin nicht über die bundeseinheitlich geregelte Weiterbildung zum Pharmareferenten verfüge, so dass eine Einstufung in die Qualifikationsstufe 2 ausscheide.

Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 03.08.2009 verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 16.09.2007 bis 29.03.2008 Alg unter Zugrundelegung der Qualifikationsgruppe 2 zu gewähren. Der Bescheid vom 16.08.2007 und der Widerspruchsbescheid vom 09.10.2007 würden aufgehoben, soweit sie der gerichtlichen Entscheidung entgegenständen. Unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des LSG Berlin- Brandenburg (Beschluss vom 04.02.2009 - L 10 AL 8/09 B ER) ist das SG davon ausgegangen, dass sich die fiktive Bemessung nicht nach der ursprünglichen Ausbildung zu richten habe, sondern auf die Beschäftigungsmöglichkeiten abzustellen sei. Nachdem die Beklagte davon ausgehe, die Vermittlungsbemühungen seien für die Klägerin im wesentlichen auf Tätigkeiten im Außendienstbereich zu erstrecken, die Klägerin aufgrund ihrer Berufserfahrung realistische Chancen in diesem Bereich habe und das Anforderungsprofil in Stellenanzeigen für Pharmareferenten die Qualifikation als MTA mit der eines Hochschulabsolventen gleichwertig behandelten, sei es gerechtfertigt das Bemessungsentgelt der Klägerin nach der Qualifikationsstufe 2 zu ermitteln und sie damit Arbeitslosen gleichzustellen, die über eine höherqualifizierte Berufsausbildung verfügten.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Entgegen der Auffassung des SG seien die Vermittlungsbemühungen nicht auf die Tätigkeit eines Pharmareferenten in erster Linie zu erstrecken, ...

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