Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziales Entschädigungsrecht: Beginn der Leistungen einer Beschädigtenversorgung. Berufsschadensausgleich für einen Glasveredler

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 60 Abs. 1 BVG regelt den Beginn der Leistungen der Beschädigtenversorgung nur beim Erstantrag (Fortsetzung der Rspr. des Senats v. 28. Juni 2017, L 15 VG 16/11).

2. § 60 Abs. 2 BVG enthält hinsichtlich des Leistungsbeginns eine abweichende spezialgesetzliche Regelung nur zu § 48 SGB X.

3. Die Behörde ist mit Blick auf § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht verpflichtet, den Aktenbestand auf Fehler durchzuforsten. Die Unterlassung einer an sich gebotenen Fehlerkorrektur ist sanktionslos und verlängert nicht die Rückwirkung über § 44 Abs. 4 SGB X hinaus.

4. Zur Einstufung in die zutreffende Leistungsgruppe (hier: im Wirtschaftsbereich Produzierendes Gewerbe, Handel, Dienstleistungsgewerbe) gemäß der Bekanntmachung der Vergleichseinkommen für die Feststellung der Berufsschadens- und Schadensausgleiche nach dem BVG für die Zeit vom 01.07.2009 gem. BMAS-Schreiben vom 19.06.2009 (AZ: IV c 2-61080/27) im Rahmen der Berechnung des Einkommensverlusts gem. § 30 Abs. 4 Satz 1 BVG a.F.

 

Orientierungssatz

Eine berufliche Tätigkeit als Glas- bzw. Bleikristalldekorveredler kann im Rahmen der Ermittlung des Vergleichseinkommens gem. § 3 Abs. 1 BSchAV a.F. in die Leistungsgruppe 3 im Wirtschaftsbereich Produzierendes Gewerbe, Handel, Dienstleistungsgewerbe einzustufen sein.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 15.04.2019; Aktenzeichen B 9 V 5/19 B)

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 22. September 2014 wird zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid vom 5. Dezember 2017 wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten sind der Beginn der Versorgungsrente des Klägers nach einem GdS von 40 sowie Beginn und Höhe des Berufsschadensausgleichs (BSA) nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) i.V.m. dem Häftlingshilfegesetz (HHG) streitig.

Der 1952 in Sachsen geborene Kläger wuchs in der DDR auf. Er befand sich dort vom 27.12.1977 bis 26.06.1978 und vom 10.08.1981 bis 10.11.1982 in Haft. Sodann wurde er in die Bundesrepublik Deutschland entlassen (10.11.1982). Am 19.02.1984 befand sich der Kläger auf der Transitautobahn zwischen Berlin (West) und Hirschberg. Bei der Ausreisekontrolle an der Grenzübergangsstelle Rudolphstein der DDR wurde der Kläger festgenommen. Er befand sich daraufhin vom 20.02.1984 bis 13.11.1987 wiederum in DDR-Haft. Mit Urteil des Bezirksgerichts D. vom 19.10.1984 wurde er - unter Einbeziehung eines früheren Urteils vom 15.01.1982 - wegen mehrfachen ungenehmigten Devisenwertumlaufs und wegen ungesetzlicher Warenausfuhr (teilweise in Tateinheit mit ungenehmigter Ausfuhr von Kulturgut der DDR) zu einer Freiheitsstrafe verurteilt; ferner wurden die ihm gewährte Strafrestaussetzung zur Bewährung widerrufen und der Vollzug des noch nicht vollstreckten Teils der Freiheitsstrafe aus dem Urteil vom 15.01.1982 angeordnet. Am 13.11.1987 reiste der Kläger wieder zurück nach Bayern.

Am 06.07.1983 stellte die Regierung von Niederbayern eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 des Häftlingshilfegesetzes hinsichtlich der Haftzeiträume 27.12.1977 bis 26.06.1978 und 10.08.1981 bis 10.11.1982 aus. Am 08.11.1988 wurde von der Regierung von Niederbayern eine entsprechende Bescheinigung hinsichtlich des Zeitraums vom 20.02.1984 bis 19.01.1985 ausgestellt. Hinsichtlich des Zeitraums 20.01.1985 bis 13.11.1987 wurde keine Bescheinigung ausgestellt.

Mit Beschluss des Bezirksgerichts D. vom 08.05.1992 wurden das Urteil vom 15.01.1982 und teilweise auch das vorhergehende Urteil vom 19.10.1984 (Rehabilitierungsentscheidung nach dem Rehabilitierungsgesetz (RehabG) in seiner vom 03.10.1990 bis 03.11.1992 geltenden Fassung (FNA III-33 bei juris) aufgehoben. Der Antrag auf Rehabilitierung hinsichtlich der Verurteilung wegen ungesetzlicher Warenausfuhr etc. wurde vom Bezirksgericht zurückgewiesen. In dem Beschluss stellte das Gericht fest, dass der Kläger für die bzgl. des Zeitraums vom 20.02.1984 bis 18.07.1985 entstandenen Nachteile Anspruch auf soziale Ausgleichsleistungen habe.

Mit Beschluss vom 05.10.1992 hob das Bezirksgericht D. das Urteil des Kreisgerichts D. vom 10.05.1978 bezüglich der Haftzeit vom 27.12.1977 bis 26.06.1978 auf.

Hinsichtlich seines beruflichen Werdegangs liegen vom Kläger u.a. folgende Angaben (vgl. die Ausführungen gegenüber dem neuropsychiatrischen Gutachter Dr. V. vom 10.01./24.01.1997 im Berufungsverfahren des Bayer. Landessozialgerichts - BayLSG - L 5 AR 208/95) vor: Die 9. und 10. Schulklasse habe er bei der Nationalen Volksarmee (NVA) besucht und so einen der Mittleren Reife vergleichbaren Abschluss erreicht. Im Anschluss daran habe er eine Lehre zum Bleikristalldekorveredler erfolgreich durchlaufen. 1970 sei er dann in die Armee eingetreten und nach Abschluss der Berufsausbildung zunächst im erlernten Beruf tätig gewesen, später s...

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