Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Blindheit. bayerisches Landesblindengeld. Merkzeichen Bl. zerebrale Störung des Sehvermögens. keine spezifische Sehstörung erforderlich. Beeinträchtigung der visuellen Wahrnehmungsfähigkeit im Bewusstsein. Aufmerksamkeits- oder Gedächtnisstörung. Alzheimer-Demenz
Leitsatz (amtlich)
1. Eine der Blindheit entsprechende zerebrale Störung des Sehvermögens setzt keine spezifische Sehstörung voraus (Fortsetzung der Rechtsprechung des LSG München vom 5.7.2016 - L 15 BL 17/12).
2. Im Falle zerebraler Störungen ist zu prüfen, ob die visuellen Fähigkeiten des Betroffenen (optische Reizaufnahme und Verarbeitung) unterhalb der vom BayBlindG (juris: BlindG BY) vorgegebenen Blindheitsschwelle liegen.
3. Einem Blindengeldanspruch nach dem BayBlindG steht nicht entgegen, dass nicht der eigentliche Sehvorgang betroffen, sondern die Verminderung bzw Aufhebung der visuellen Wahrnehmungsfähigkeit durch eine allgemeine zerebrale Beeinträchtigung des sehbehinderten Menschen verursacht ist, etwa bedingt durch eine schwere Aufmerksamkeits- oder Gedächtnisstörung.
Orientierungssatz
1. Zum Leitsatz 1 vgl BSG vom 11.8.2015 - B 9 BL 1/14 R = BSGE 119, 224 = SozR 4-5921 Art 1 Nr 3.
2. Die Annahme von Blindheit im Sinne von Art 1 Abs 2 S 2 Nr 2 BlindG BY ist in besonderen Ausnahmefällen spezieller Krankheitsbilder auch außerhalb der Fallgruppen des Teils A Nr 6 Buchst b der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (Anlage zu § 2 VersMedV) möglich.
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 20. November 2014 sowie der Bescheid des Beklagten vom 26. Februar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Juni 2013 aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ab Antragstellung Blindengeld zu gewähren.
II. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG) streitig.
Die 1943 geborene Klägerin leidet an einer schweren Alzheimer-Demenz. Am 12.09.2012 beantragte sie, vertreten durch ihren Sohn, beim Beklagten die Gewährung von Blindengeld, ferner die Zuerkennung des Merkzeichens "Bl". Der Vertreter der Klägerin wies darauf hin, dass diese völlig hilflos, komatös und objektiv physisch wie geistig nicht in der Lage sei, noch irgendetwas sinnvoll wahrzunehmen oder zu verarbeiten. Der Klägerin ist Pflegestufe 3 zuerkannt. Sie ist seit 2004 in einem Pflegeheim untergebracht.
In seinem für den Beklagten angefertigten Gutachten vom 03.11.2012 stellte der Augenarzt Dr. K. die Diagnosen Cataracta senilis provecta, mäßige Arterienverkalkung, fortgeschrittene Alzheimer-Demenz. Die Sehschärfe lasse sich nicht prüfen, da die Klägerin auf Fragen nicht antworte. Aus dem objektiven Befund ergebe sich kein Nachweis einer Blindheit. Die Klägerin sei nicht transportfähig. Dem Gutachter gelang lediglich eine Augenuntersuchung, bei der er unter anderem eine positive Reaktion auf Licht, eine klare Hornhaut und eine mäßige Linsenkerntrübung feststellte. Blindheit sei nicht nachgewiesen, so der Gutachter.
Der Vertreter der Klägerin vertrat in einem Schreiben vom 06.12.2012 die Auffassung, dass Sehen die visuelle Wahrnehmung und die geistige Verarbeitung des visuell Wahrgenommenen bedeute. Letzteres scheide aufgrund der schwerstgradigen, neurologischen Ausfälle sicher aus. Der Beklagte wertete den Entlassungsbericht der R. Kliniken, Abteilung Innere Medizin, vom 05.12.2012 aus, aus dem sich der Gesamtgesundheitszustand der Klägerin ergab. Als Diagnosen wurden Exsikkose sowie Sopor bei schwerer Alzheimer-Demenz gestellt.
In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. L. vom 30.01.2013 wurde darauf hingewiesen, dass keinerlei Anhalt für eine spezielle Schädigung der Sehstrukturen bestehe.
Mit Bescheid vom 26.02.2013 lehnte der Beklagte den Antrag auf Blindengeld ab. Bei der Klägerin, so die Begründung, bestehe eine sehr weit fortgeschrittene Demenz; eine Kommunikation sei nicht mehr möglich, Sinneseindrücke könnten nicht mehr verarbeitet werden. Es gebe jedoch keinerlei Anhalt dafür, dass für die fehlende Wahrnehmung von optischen Reizen eine spezielle Schädigung der Sehstrukturen ursächlich sei. Aus der vorliegenden generellen zerebralen Funktionsstörung lasse sich Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 BayBlindG nicht ableiten. Es lasse sich auch nicht der objektive Nachweis führen, dass bei der Klägerin faktische Blindheit bestehe.
Hiergegen hat die Klägerin über den Bevollmächtigten am 03.03.2013 Widerspruch erhoben. Der Vertreter hat den Widerspruch umfangreich im Schreiben von 14.04.2013 begründet und dabei unter anderem auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 20.07.2005 (Az.: B 9 BL 1/05 R) hingewiesen. Er hat mitgeteilt, dass die Klägerin bere...