Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Rentenversicherung: Anspruch auf Vergabe einer neuen Versicherungsnummer unter Berücksichtigung eines geänderten Geburtsdatums. Taufbuch einer aramäischen Kirchengemeinde in der Türkei als Urkunde

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein handschriftlich geführtes Taufbuch einer aramäischen Kirchengemeinde in der Türkei stellt eine Urkunde dar, die geeignet ist, ein anderes Geburtsdatum iSd § 33a SGB I zu belegen.

2. Die Entscheidung über die Frage, ob sich hieraus ein anderes Geburtsdatum ergibt, ist eine Entscheidung, die vom Gericht im Rahmen freier Beweiswürdigung zu treffen ist.

3. Dabei können sowohl Zeugenaussagen als auch Beteiligtenvortrag herangezogen werden.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 18.11.2020; Aktenzeichen B 13 R 133/19 B)

BSG (Urteil vom 18.11.2020; Aktenzeichen B 13 R 133/19 B)

 

Tenor

I. Auf den Antrag des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 15.06.2015 sowie der Bescheid der Beklagten vom 19.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.05.2014 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an den Kläger eine neue Versicherungsnummer unter Zugrundelegung des Geburtsdatums 27.08.1951 zu vergeben.

II. Die Beklagte erstattet dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Änderung der Versicherungsnummer bzw. des Geburtsdatums nach § 33a Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I).

Der Kläger, der deutscher Staatsangehöriger ist, wurde in der Türkei (M.) geboren.

Am 13.07.1970 nahm der Kläger erstmals eine versicherungspflichtige Beschäftigung in Deutschland auf. Hierfür wurde von der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern die Versicherungsnummer 18 260054 O 008 vergeben. Nachdem diese Versicherungsnummer stillgelegt wurde, vergab die Deutsche Rentenversicherung Schwaben am 13.04.1988 die Versicherungsnummer 18 030254 O 022. Unter dieser Versicherungsnummer ergingen anschließend verschiedene Feststellungs- und Beitragsbescheide. Sowohl im Antrag des Klägers vom 23.10.2003 auf Feststellung von Versicherungspflicht als Bezieher eines Existenzgründungszuschusses als auch in anderen Urkunden ist dieses Geburtsdatum angegeben, so in den regelmäßigen Mitteilungen der Handwerkskammer Schwaben, aber auch im türkischen Ausweis, dem deutschen Personalausweis und in der Einbürgerungsurkunde.

Mit Schreiben vom 18.06.2013 beantragte der Kläger über seinen Bevollmächtigten, das Geburtsdatum vom 03.02.1954 auf den 15.08.1949 zu berichtigen. Das Geburtsdatum 03.02.1954 sei unrichtig, richtig sei der 15.08.1949. Als Nachweis wurde eine Taufurkunde des Patriarchats von A. in Kopie übersandt, in der der Pfarrer der syrisch-orthodoxen Kirche D-Stadt das Geburtsdatum 15.08.1949 und die Taufe des Klägers am 06.09.1949 in M. bestätigt. Auf Anforderung übersandte der Bevollmächtigte des Klägers außerdem einen Auszug aus dem türkischen Einwohnerbuch (N. K. Ö.) vom 24.07.2013, in dem als Geburtsdatum gemäß Beurkundung vom 30.05.1957 der 03.02.1954 eingetragen ist. Dazu wurde aufgeführt, dass es am Geburtsort des Klägers kein Standesamt gegeben habe. Es sei lediglich in unregelmäßigen Abständen ein Beamter der Kreisstadt gekommen, um die zurückliegenden Geburten aufzunehmen. Dabei seien gerade die männlichen Kinder oft jünger gemacht worden, damit sie, wenn sie zum Wehrdienst einberufen würden, wo sie als Angehörige einer christlichen Minderheit besonderen Repressalien ausgesetzt gewesen seien, möglichst älter wären als ihre muslimischen Mitsoldaten. Im Gegensatz zum Staat habe aber die christliche Kirche penibel Buch über kirchliche Ereignisse wie Taufen geführt, daher sei diese Eintragung als richtig anzusehen. Seine Mutter könne sich an das Geburtsdatum auch deshalb so genau erinnern, weil er an Maria Himmelfahrt geboren sei und seine Familie diesen Feiertag sehr verehrt habe.

Mit Bescheid vom 19.08.2013 lehnte die Beklagte die Änderung des Geburtsdatums bzw. der Versicherungsnummer ab. Bei in der Türkei geborenen Versicherten sei eine Änderung der Versicherungsnummer regelmäßig nur nach Vorlage des Auszugs aus dem türkischen Einwohnerbuch vorzunehmen. Dabei seien nur die Eintragungen von Bedeutung, die vor der ersten Angabe des Geburtsdatums beim deutschen Sozialleistungsträger erfolgt seien. Die vorgelegte Taufbescheinigung sei keine Urkunde im Sinne des § 33a SGB I.

Mit seinem Widerspruch erklärte der Kläger, die vorgelegte Taufurkunde sei zwar nach der ersten Angabe im Sinne des § 33a SGB I ausgestellt. Die Beurkundung beruhe jedoch auf dem Original im Kirchenbuch der Türkei, welches der Pfarrer der syrisch-orthodoxen Kirche D-Stadt dort persönlich habe einsehen können. Dazu legte der Klägerbevollmächtigte Kopien von Fotos des Taufbuchs der syrisch-orthodoxen Kirche in M. vor, die der Cousin des Klägers am 24.01.2014 gemacht habe. Den Unterlagen lag eine Übersetzung aus der aramäischen Sprache in die deutsche Sprache durch einen Dolmetscher bei. Danach handele es sich um das Registerbuch der Taufnamen ...

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