Entscheidungsstichwort (Thema)
Reichweite des Wegeunfallversicherungsschutz nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII bei Tätigkeit im Home-Office
Leitsatz (amtlich)
I. Auch ein außerhäuslicher Weg zur Nahrungsaufnahme in der Mittagspause arbeitenden und an betriebliche Vorgaben gebundenen Beschäftigten ist ein
versicherter Weg nach§ 8 Abs. 1 Satz 3 SGB VII .
II. Der Anwendungsbereich des§ 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII ist durch die Neuregelung des§ 8 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nicht erweitert worden.
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 14.06.2023 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Ziffer I. des Tenors der erstinstanzlichen Entscheidung wie folgt gefasst wird: Der Bescheid vom 04.10.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.01.2023 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass es sich bei dem Ereignis vom 10.01.2022 um einen Arbeitsunfall handelt.
II. Die Beklagte hat der Klägerin auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig ist, ob die Klägerin und Berufungsbeklagte (im Folgenden: Klägerin) am 10.01.2022 auf dem Weg von einem Mitnahme-Restaurant zurück in das Home-Office in der Mittagspause einen versicherten Arbeitsunfall nach§ 8 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) erlitten hat.
Die 1990 geborene Klägerin war zu dem Zeitpunkt des Unfalls als kaufmännische Angestellte bei der B GmbH & Co KG mit einer Arbeitszeit von 38,5 Stunden/Woche Vollzeit beschäftigt. Sie hat mit ihrem Arbeitgeber eine "Zusatzvereinbarung Telearbeit" (nachfolgend: Home-Office-Vereinbarung) vom 13.09.2019 geschlossen, wonach die Klägerin berechtigt ist, jeweils montags von zu Hause aus zu arbeiten. Die Verteilung der Arbeitszeit ist von 05:00 - 22:00 Uhr möglich. Die im Unternehmen geltende Pausenregelung, die auch bei der Arbeit zu Hause gilt, sieht ab fünf Stunden Arbeitszeit eine Pause von 15 Minuten, ab sechs Stunden Arbeitszeit eine Pause von 30 Minuten und ab sieben Stunden Arbeitszeit eine Pause von 45 Minuten vor. Die Pause kann individuell gestaltet werden. Die Erfassung der Arbeitszeit erfolgt durch Buchen der Klägerin am PC.
Am 10.01.2022 (Montag) arbeitete die Klägerin von zu Hause aus (Home-Office). Zur Mittagszeit begab sie sich auf dem direkten Weg zu A Restaurant im G in H (die einfache Wegstrecke zwischen dem Wohnort der Klägerin und dem Restaurant beträgt ca. 8,2 km, 12 min mit dem KFZ), wo sie sich ein warmes Mittagessen (Döner) holte. Nach der Rückkehr beabsichtigte sie ihre Arbeit fortzusetzen, um 14.00 Uhr war ein weiteres Online-Meeting per Microsoft-Teams geplant. Auf dem Weg von dem Restaurant nach Hause erlitt die Klägerin auf der Staatsstraße xxx zwischen G und R um ca. 12:50 Uhr einen (unverschuldeten) Verkehrsunfall mit ihrem PKW, als sie mit einem entgegenkommenden Fahrzeug, das den Mittelstreifen überschritten hatte, frontal zusammenstieß. Sie zog sich bei dem Unfall eine dislozierte mehrfragmentäre Pilon tibiale Fraktur und distale Fibulafraktur vom Typ Weber C links sowie eine dislozierte Klaviculaschaftfraktur (mittleres Drittel) links zu. Es erfolgte eine stationäre Krankenhausbehandlung mit operativer Versorgung am 14.01.2022. Ab 27.06.2022 begann die Klägerin eine stufenweise Wiedereingliederung, ab 16.07.2022 war sie wieder voll arbeitsfähig.
Am 12.01.2022 teilte der Lebensgefährte der Klägerin der Beklagten und Berufungsklägerin (im Folgenden: Beklagte) mit, dass die Klägerin am 10.01.2022 in der Mittagspause auf dem Heimweg zur Arbeitsstätte einen Verkehrsunfall erlitten habe. Am 11.02.2022 erfolgte die Unfallanzeige des Arbeitgebers. Auf Nachfrage der Beklagten teilte die Klägerin am 26.04.2022 telefonisch mit, dass sie sich bei A Restaurant ein warmes Essen für den Verzehr in ihrer Mittagspause im Home-Office geholt habe. Sie habe keine anderen Besorgungen erledigt und sei dann mit dem warmen Essen direkt nach Hause gefahren.
Mit Bescheid vom 04.10.2022 lehnte die Beklagte (durch ihre Geschäftsführung) eine Anerkennung des Verkehrsunfalls vom 10.01.2022 als Arbeitsunfall ab, da Wege zur Nahrungsaufnahme aus dem Home-Office heraus keine versicherten Wege im Sinne des SGB VII darstellten. Der Weg habe persönlichen Zwecken gedient und sei daher dem privaten Lebensbereich zuzurechnen.
Den hiergegen am 19.10.2022 erhobenen und mit Schreiben vom 23.10.2022 begründeten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.01.2023 zurück. Bei einer Tätigkeit in der Unternehmensstätte seien Wege zur Nahrungsaufnahme versichert, wenn die Nahrungsaufnahme zum Erhalt der Arbeitskraft und damit zur Fortsetzung der versicherten Tätigkeit erforderlich sei, obwohl am aufgesuchten Ort eine unversicherte Tätigkeit verrichtet werde. Dieser Ausnahmetatbestand schließe für auf der Unternehmensstätte Tätige nicht nur Wege auf dem Betriebsgelände, sondern auch solche außerhalb zum nahegelegenen Bäcker, Kiosk, einer Gaststätte etc. ein. Der Grund hierfür sei d...