Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeldanspruch. Nachzahlung von Arbeitsentgelt. Erhöhung des Bemessungsentgelts. Neubemessung. Verzinsung der Nachzahlung des Arbeitslosengeldes. Verzinsungsbeginn. Zufluss der Lohnnachzahlung
Leitsatz (amtlich)
1. Wird einem Arbeitnehmer Arbeitsentgelt aufgrund eines arbeitsgerichtlichen Vergleichs nachgezahlt, ändern sich die Verhältnisse im Hinblick auf die Höhe des zu berücksichtigenden Arbeitsentgelts im Rahmen des Bemessungsentgelts zu dessen Gunsten, so dass das Arbeitslosengeld gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB X neu zu bemessen ist.
2. Der weitergehende Zahlungsanspruch für das über den zuvor gezahlten Betrag hinausgehende Arbeitslosengeld wird mit dem Zufluss der Nachzahlung aus dem Vergleich beim Arbeitnehmer fällig, so dass ein Anspruch auf Verzinsung nach § 44 Abs 1 SGB I nach Ablauf eines Kalendermonats besteht, sofern sechs Kalendermonate seit dem Eingang des ursprünglichen Antrags auf Arbeitslosengeld bereits verstrichen sind (§ 44 Abs 2 SGB I). Auch wenn in der ursprünglichen Arbeitsbescheinigung nur das geringere Arbeitsentgelt bescheinigt war, lag deshalb kein unvollständiger Antrag auf Arbeitslosengeld vor.
Normenkette
SGB I §§ 38, 40 Abs. 1, §§ 41, 44 Abs. 1-2; SGB X §§ 44, 48 Abs. 1 S. 1; SGB III §§ 117-118, 151 Abs. 1 Sätze 1-2; SGB III a.F. § 131 Abs. 1 Sätze 1-2, § 134 Abs. 1; SGG § 54 Abs. 1, 4; GG Art. 3
Nachgehend
Tenor
I. Das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 19.05.2020 und der Bescheid der Beklagten vom 25.09.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2021 werden abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, den Nachzahlungsbetrag von 12.037,50 € auch für die Zeit vom 01.07.2016 bis 31.12.2016 mit 4% p.a. zu verzinsen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger 1/10 seiner außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Verzinsung einer Nachzahlung von Arbeitslosengeld (Alg).
In der Zeit vom 01.08.2009 bis 30.10.2010 bezog der Kläger von der Beklagten Alg i.H.v. 28,40 € täglich (Bescheide vom 03.09.2009 und 20.01.2010). Als Bemessungsentgelt wurden die Angaben der ehemaligen Arbeitgeberin des Klägers, der H GmbH (H), in der Arbeitsbescheinigung zugrunde gelegt. Abweichende Angaben hierzu machte der Kläger nicht.
Am 26.08.2013 beantragte der Kläger die Neufestsetzung seines Alg. Er habe gegenüber H eine Forderung wegen "Equal-Pay" geltend gemacht. Die endgültige Höhe der Forderung werde erst mit rechtskräftigem Abschluss des laufenden Arbeitsgerichtsverfahrens feststehen. Bis dahin solle der Antrag ruhen. Den (auch) als Überprüfungsantrag ausgelegten Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24.10.2013 ab. Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein. Bis zum Abschluss des Verfahrens gegen H hätte das Widerspruchsverfahren ausgesetzt werden müssen. Es bestehe ein "Equal-Pay-Anspruch". Bei einem nachträglich abgerechneten und ausbezahlten beitragspflichtigen Arbeitsentgelt sei die vorgenommene Bemessung des Alg nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 330 Abs. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) zu korrigieren. Mit Beschluss vom 13.04.2016 (4 AZR 995/13) stellte das Bundesarbeitsgericht (BAG) das Zustandekommen eines Vergleichs zwischen dem Kläger und H fest. Danach verpflichtete sich H zur Abgeltung der Lohnnachzahlungsansprüche einen Betrag i.H.v. 117.575,36 € brutto und einen Fahrtkostenersatz i.H.v. 2.096,00 € netto an den Kläger zu zahlen. Eine entsprechende Entgeltabrechnung wurde von H am 25.04.2016 erteilt. Der Betrag von 64.758,86 € ging am 13.05.2016 auf dem Konto des Klägers ein. Am 02.06.2016 teilte der Kläger das Ergebnis des Vergleichs mit H der Beklagten mit. Nach Eingang einer korrigierten Arbeitsbescheinigung der H bewilligte die Beklagte Alg für die Zeit vom 01.08.2009 bis 30.10.2010 i.H.v. 55,15 € täglich (Bescheide vom 15.05.2018) und leistete eine entsprechende Nachzahlung i.H.v. 12.037,50 €.
Einen Antrag auf Verzinsung der Nachzahlung vom 12.06.2018 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 26.07.2018 ab. Der Leistungsanspruch sei innerhalb von sechs Monaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrags erfüllt worden. Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein. Maßgeblich für die Zinsberechnung sei sein Antrag auf Alg im Jahr 2009. Die Beklagte hob mit Bescheid vom 25.09.2018 ihren Bescheid vom 26.07.2018 wieder auf und bewilligte mit weiterem Bescheid vom 25.09.2018 Zinsen i.H.v. 641,92 €. Der vollständige Leistungsantrag habe im Juni 2016 vorgelegen, so dass die Nachzahlung für die Zeit vom 01.01.2017 bis 30.04.2018 mit 4% verzinst werde. Dem Widerspruch sei damit in vollem Umfang abgeholfen worden. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.05.2021 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den "Bescheid vom 26.07.2018 in der Fassung des Bescheides vom 25.09.20...