Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. häusliche Krankenpflege (HKP). ambulante Wohngruppe ist grundsätzlich geeigneter Ort. keine Übertragbarkeit des Konzepts der Gesamtverantwortung einer Einrichtung der Eingliederungshilfe. Ausschluss von Pflege- und HKP-Leistungen durch privatrechtliche Betreuungsverträge
Leitsatz (amtlich)
1. Eine ambulante Wohngruppe ist grundsätzlich ein geeigneter Ort zur Erbringung häuslicher Krankenpflege (HKP).
2. Das Konzept der Gesamtverantwortung einer Einrichtung der Eingliederungshilfe, einschließlich der Pflicht auf Erbringung einfachster HKP-Leistungen (vgl BSG vom 28.2.2015 - B 3 KR 11/14 R = BSGE 118, 122 = SozR 4-2500 § 37 Nr 13), ist nicht auf ambulante Wohngruppen zu übertragen.
3. Privatrechtliche Betreuungsverträge dürfen die Erbringung von Pflege- und HKP-Leistungen ausschließen.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 18.06.2019 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch in der Berufung.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Freistellung von Kosten der häuslichen Krankenpflege (HKP) in einer ambulant betreuten Wohngruppe.
1. Die 1932 geborene Klägerin ist gesetzlich versichertes Mitglied der Beklagten und der Beigeladenen. Sie leidet u.a. an essentieller Hypertonie (ICD-10 I10.90G), Diabetes mellitus mit multiplen Komplikationen (ICD-10 E14.72G) und Demenz (ICD-10 F03G) bei rezidivierenden Kleinhirninfarkten. Die Klägerin ist laut Pflegegutachten der Beigeladenen vom 27.10.2010 Analphabetin und seit ihrer Geburt etwas debil. Sie steht seit dem 25.09.2000 unter gesetzlicher Betreuung (aktenkundig ist der Ausweis der Betreuerin G., H.G., ausgestellt durch das Amtsgericht E-Stadt, Geschäftsnummer XXX).
Die Klägerin erhält von der Beigeladenen seit dem Oktober 2010 Leistungen, seit dem 01.01.2017 nach dem Pflegegrad 3 in Form von Sachleistungen nach § 36 SGB XI bis zur Höchstgrenze, Betreuungs- und Entlastungsleistungen nach § 45b SGB XI in Höhe von monatlich 125,00 € und den Wohngruppenzuschlag nach § 38a SGB XI in Höhe von 214,00 € (Bescheid vom 23.03.2015). Die monatlichen Gesamtabrechnungen für Pflegesachleistungen betrugen im streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.02.2019 bis 31.03.2019 2.691,08 € bzw. 2.982,92 €. Der den Höchstbetrag nach § 36 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI übersteigende Anteil wird vom Sozialhilfeträger übernommen.
Die Klägerin lebt seit März 2015 in der nach dem Bayerischen Pflege- und Wohnqualitätsgesetz anerkannten ambulant betreuten Wohngemeinschaft "R." zusammen mit 11 weiteren Personen, welche nicht Familienangehörige der Klägerin sind. In dem selben Gebäude befindet sich eine weitere Wohngemeinschaft mit maximal 12 Bewohnern. Dem Aufenthalt in der ambulant betreuten Wohngemeinschaft in der "R." liegen ein Mietvertrag (a), ein Betreuungsvertrag (b), ein Pflegevertrag (c), eine Gremiumsvereinbarung (d) und eine Präsenzkraftvereinbarung (e) zugrunde.
(a) Die Klägerin, vertreten durch ihre Betreuerin H.G., schloss am 14.03.2015 mit der Firma L., Geschäftsführer E. W. (E.W.), einen Mietvertrag, der u.a. Regelungen zum Mietzins sowie zum Angehörigengremium enthält; wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 18-20 der erstinstanzlichen Gerichtsakte Bezug genommen. Die Räumlichkeiten erfüllen die Voraussetzungen für die Erbringung von HKP-Leistungen.
(b) Unter dem 16.03.2015 schloss die Klägerin, vertreten durch ihre Betreuerin H.G., mit M., vertreten durch den Geschäftsführer E.W., einen Betreuungsvertrag; wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 21-23 der erstinstanzlichen Gerichtsakte Bezug genommen.
(c) Ebenfalls unter dem 16.03.2015 schloss die Klägerin, vertreten durch ihre Betreuerin H.G., mit dem ambulanten Pflegedienst unter der Firma M. den Vertrag über die Erbringung ambulanter Pflege nach § 120 SGB XI; wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 24-25 der erstinstanzlichen Gerichtsakte Bezug genommen.
(d) Unter dem 07.11.2018 wurde eine nicht unterzeichnete Neufassung einer Gremiumsvereinbarung vom 09.04.2015 für die ambulant betreute Wohngemeinschaft "R." A-Stadt abgeschlossen und allgemeine Regelungen für die ambulant betreute Wohngemeinschaft "R." A-Stadt bestimmt. Mit der Gremiumsvereinbarung schließen sich die Mitglieder der Wohngemeinschaft zu einem Gremium der Selbstbestimmung zusammen, das dazu dient, das Miteinander der Wohngemeinschaft zu gestalten, gemeinsame Interessen gegenüber Dritten zu vertreten sowie die Gemeinschaft betreffende Geschäfte abzuschließen. Unter "Wahl eines gemeinsamen Dienstleisters" ist geregelt, dass zur Ausnutzung von Synergieeffekten eine gemeinsame Organisation der Hauswirtschaft und der Betreuung erfolgt, dies jedoch hinsichtlich der pflegerischen Versorgung nicht gilt:
Die Wahl eines Pflegedienstes für die pflegerische Versorgung bleibt jedem Bewohner selbst überlassen.
Mit den allgemeinen Regelungen wurden die Fragen des Zusammenlebens in der ...