Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Erstattungsanspruch des unzuständigen Leistungsträgers. Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Hilfen zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten. Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers in Bayern. sozialgerichtliches Verfahren. keine notwendige Beiladung des Leistungsberechtigten. Grundurteil
Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs des örtlichen Sozialhilfeträgers gegenüber dem überörtlichen Sozialhilfeträger hinsichtlich der an den Hilfebedürftigen gewährten Leistungen nach dem SGB 12 bei dem Hilfebedürftigen bewilligter Eingliederungshilfe als Betreuungs- und Assistenzleistungen (und nicht als aktivierende Pflege).
2. Zur Auslegung des Art 82 Abs 2 BayAGSG (juris: SGAG BY).
3. Zur Verurteilung im Erstattungsstreit dem Grunde nach.
4. Zum Erfordernis der Beiladung des Hilfebedürftigen im Erstattungsstreit.
Tenor
I. Ziffer I. und II. des Urteils des Sozialgerichts Würzburg vom 24.03.2010 werden wie folgt neu gefasst: Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die für den Zeitraum ab 01.01.2008 bis 21.02.2013 rechtmäßig an Herrn L. F. gewährten Leistungen zu erstatten.
II. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 24.03.2010 wird zurückgewiesen.
III. Die Klägerin und die Beklagte tragen die Kosten jeweils zur Hälfte.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin oder der Beklagte für die Erbringung von Leistungen der Sozialhilfe an Herrn L. F. (F.) zuständig ist und ob der Klägerin gegenüber dem Beklagten ein Erstattungsanspruch hinsichtlich der an F. gewährten Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) zusteht.
F. leidet unter Multipler Sklerose in fortgeschrittenem Stadium mit Dysarthrie (Sprachkoordinationsstörung mit unverständlicher Sprache bis auf einsilbige Wörter). Er ist schwerst pflegebedürftig und in allen Dingen des Lebens auf fremde Hilfe angewiesen. Hierfür reicht seine Rente in Höhe von 725,96 € monatlich bei einer Warmmiete von 378,67 € pro Monat nicht aus. Er bezog von der Klägerin Wohngeld in Höhe von 90,00 € monatlich und Hilfe zur Pflege. Die Pflege erfolgt ambulant im betreuten Wohnen. Daneben wurde in unterschiedlichem Umfang (zunächst 3 Tage, zuletzt 1 Tag pro Woche) Tagespflege in einer teilstationären Einrichtung in Anspruch genommen. Der tägliche Pflegeaufwand beträgt ca. 9 Stunden. Neben der Hilfe zur Pflege werden seit Februar 2007 Betreuungs- und Assistenzleistungen erbracht, z.B. Spaziergänge, Einkaufsbummel, Besuche von Veranstaltungen, Gaststättenbesuche, Behördengänge, Vorlesen u.a. Hierfür wurde der staatlich anerkannte Erzieher M. S. durch die Betreuerin des Hilfeempfängers vertraglich verpflichtet. Das Gesundheitsamt der Klägerin hat am 21.08.2007 zu dem Bedarf des F. an Leistungen der Eingliederungshilfe Stellung genommen. Es seien zusätzlich zur häuslichen 24-Std.-Pflege 52 Stunden ambulanter Betreuung und 8 Stunden monatlich an koordinativen Leistungen durch den betreuenden staatlich anerkannten Erzieher aufgrund der bekannten Persönlichkeitsstörung (seelischen Behinderung) des Hilfeempfängers erforderlich.
Mit Bescheid vom 19.09.2007 bewilligte die Klägerin dem F. Eingliederungshilfe im Rahmen des betreuten Wohnens für maximal 52 Stunden ambulanter Betreuung monatlich sowie weitere 8 Stunden, beides zusätzlich zu der bereits bewilligten 24-Stunden-Betreuung. Hierbei wurde der Hilfebedürftige nach dem so genannten Arbeitgebermodell durch von ihm beauftragte Pflegekräfte versorgt. Ab April 2008 wurde statt eines Sozialpädagogen eine gerontopsychiatrisch ausgebildete Pflegekraft verpflichtet, um die Leistungen der Eingliederungshilfe zu erbringen.
Ab April 2008 erfolgte die Versorgung des F. im Rahmen eines persönlichen trägerübergreifenden Budgets unter Einbeziehung des Krankenversicherungsträgers.
Nach Auffassung der Klägerin handelt es sich bei diesen Betreuungs- und Assistenzleistungen um Eingliederungshilfe, wohingegen der Beklagte davon ausgeht, dass es sich dabei um aktivierende Pflege handele.
Bis zum 31.12.2007 erbrachte die Klägerin für F. Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII in eigener Zuständigkeit. Daneben gewährte der Beklagte seit 01.01.2005 teilstationäre Hilfe zur Pflege (Tagespflege bis zu 3 Tage wöchentlich in der Sozialstation "helfende Hände"). Seit 01.01.2008 ist nach klägerischer Auffassung der Beklagte aufgrund der Neufassung des Art. 82 AGSG für alle Leistungen nach dem 6. Kapitel SGB XII zuständig und somit auch für sämtliche an F. erbrachten Leistungen.
Mit Schreiben vom 14.03.2008, 09.04.2008 und 18.08.2008 lehnte der Beklagte seine Zuständigkeit ab. Nach Meinung des Beklagten handele es sich bei den für F. erbrachten Leistungen nicht um Eingliederungshilfe, sondern ausschließlich um Hilfe zur Pflege. Aufgrund des hohen Unterstützungsbedarfes in der Behandlungs- und Grundpflege stehe bei F. ei...