Entscheidungsstichwort (Thema)

Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Leistungseinschätzung. Feststellung von Leistungseinschränkungen bei Vorliegen einer Fibromyalgie-Erkrankung. Anhörung eines Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung. rentenrechtliche Relevanz psychischer Erkrankungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zu den Anforderungen an die Feststellung von Leistungseinschränkungen bei Vorliegen einer Fibromyalgie-Erkrankung.

2. Zu den Voraussetzungen für die Anhörung eines Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung.

 

Orientierungssatz

Psychische Erkrankungen werden erst dann rentenrechtlich relevant, wenn trotz adäquater Behandlung (medikamentös, therapeutisch, ambulant und stationär) davon auszugehen ist, dass ein Versicherter die psychischen Einschränkungen dauerhaft nicht überwinden kann - weder aus eigener Kraft, noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe (vgl BSG vom 12.9.1990 - 5 RJ 88/89 sowie vom 29.3.2006 - B 13 RJ 31/05 R = BSGE 96, 147 = SozR 4-2600 § 102 Nr 2).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 08.10.2018; Aktenzeichen B 5 R 112/18 B)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 19. Februar 2016 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1966 geborene Klägerin hat den Beruf der Erzieherin erlernt und zuletzt seit Dezember 2012 als Teamassistentin in Teilzeit gearbeitet. Seit dem 29.04.2013 war sie in dieser Tätigkeit arbeitsunfähig erkrankt und ihr ist noch in der Probezeit gekündigt worden. Vom 01.03.2016 bis 14.06.2016 war sie erneut versicherungspflichtig beschäftigt und anschließend bis 28.08.2016 arbeitslos gemeldet ohne Leistungsbezug.

Am 24.06.2013 stellte die Klägerin Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung. Sie gab an, an Fibromyalgie, Depressionen, Angstzuständen und einer Wirbelsäulenversteifung zu leiden und legte u.a. Berichte der Dr. S. Klinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie vom 11.01.2010 sowie des Klinikums M-Stadt vom 24.05.2013 vor. Im Auftrag der Beklagten wurde sie am 19.08.2013 durch den Neurologen und Psychiater Dr. Sch. untersucht, der u.a. eine depressive Störung und eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren diagnostizierte und die medizinischen Voraussetzungen einer Rehabilitationshandlung, nicht aber die einer quantitativen Leistungsminderung feststellte. Am 09.10.2013 erfolgte eine Untersuchung durch den Chirurgen Dr. S., der ebenfalls zur Feststellung eines noch 6-stündigen Leistungsvermögens gelangte. Mit Bescheid vom 28.10.2013 lehnte die Beklagte den Antrag ab.

Mit ihrem Widerspruch legte die Klägerin Stellungnahmen ihrer behandelnden Ärzte G. und J. vor. Darin wird ausgeführt, dass sich seit 2009 bei hoher Leistungsbereitschaft der Klägerin eine abnehmende Belastbarkeit und zunehmend eine therapieresistente depressive Entwicklung gezeigt habe. Trotz zwischenzeitlich erreichter Stabilisierung bestehe eine große Anfälligkeit zu Dekompensation. Vom 13.02.2014 bis 10.03.2014 befand sich die Klägerin zur stationären psychosomatischen Reha im A. Klinikum I. (S-Stadt). Im Entlassungsbericht vom 28.03.2014 wurde das Leistungsvermögen sowohl bezüglich der letzten Tätigkeit als auch bezüglich des allgemeinen Arbeitsmarktes mit mindestens 6 Stunden täglich angegeben. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.08.2014 wurde daraufhin der Widerspruch zurückgewiesen.

Am 12.09.2014 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht München erhoben. Sie hat u.a. Atteste des behandelnden Psychotherapeuten Dr. N., der Nervenfachärztin C., das nach Aktenlage erstellte Gutachten der Agentur für Arbeit vom 15.07.2014 sowie die Beurteilung ihres letzten Arbeitgebers zu den zur Kündigung führenden Gründen vom 23.05.2014 vorgelegt und erklärt, dass neben dem Fibromyalgie-Syndrom mit dauerhaften erheblichen Schmerzen auch die Migränesymptomatik sowie die degenerative Wirbelsäulenveränderung außer Acht gelassen worden seien.

Das Sozialgericht hat Befundberichte der behandelnden Hausärztin H., des Neurologen Dr. A. und des Orthopäden B. angefordert. Es hat anschließend den Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie Dr. P. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt worden. Dr. P. hat in seinem Gutachten vom 23.05.2015 als Diagnosen festgestellt:

- Wirbelsäulenabhängige Beschwerden mit Cervicalsyndrom leichten sowie Lumbalsyndrom leichten bis mittleren Schweregrades bei Z.n. lumbaler Bandscheibenoperation, keine neurologischen Ausfälle und kein Nachweis von Nervenwurzelreizzeichen

- Migräne

- Depressive Verstimmung leichten Grades, multifaktorielle Genese mit depressiven Reaktionen bei Anpassungs- und Belastungsstörungen, dysthyme Störungen sowie unterlagernden rezidivierenden depressiven Störungen wechselnden Schweregrades, überlagernd Somatisierungsstörungen und beginnende somatoforme Schmerzstörungen. Beginn...

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