nicht rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Merkzeichen H… während einer beruflichen Weiterbildung. Gerhörloser. Hilflosigkeit. Fernstudium

 

Leitsatz (redaktionell)

Betreibt ein Gehörloser während der Arbeitswoche zur Fortbildung ein Fernstudium, fehlt es an dem für die Zuerkennung eines Nachteilsausgleichs H… erforderlichen täglichen Hilfebedarf, da der Wissenstransfer im Wesentlichen nicht mündlich, sondern im Selbststudium erfolgt.

 

Normenkette

SGB IX § 69 Abs. 4; EStG § 33b

 

Verfahrensgang

SG Würzburg (Entscheidung vom 10.07.2003; Aktenzeichen S 5 SB 272/03)

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 24.11.2005; Aktenzeichen B 9a SB 1/05 R)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 10.07.2003 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Tatbestand:

Streitig ist, ob dem gehörlosen Kläger für den Zeitraum einer beruflichen Weiterbildung das Merkzeichen H erneut zusteht.

Bei dem 1975 geborenen Kläger sind mit Bescheid vom 30.01.1978 mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 als Behinderung anerkannt: "An Taubheit grenzende Schwerhörigkeit beiderseits mit Retardierung der Sprachentwicklung".

Die Merkzeichen H und RF waren zuerkannt.

Der Beklagte entzog das Merkzeichen H mit Änderungsbescheid vom 02.04.1997 nach Abschluss der Berufsausbildung zum Elektroniker.

Am 09.12.2002 beantragte der Kläger, ihm das Merkzeichen H wieder zu gewähren. Zur Begründung gab er an, dass er im Oktober 2002 eine Fortbildung des D.-Technikums zum staatlich geprüften (Elektro-)Techniker begonnen habe. Die Lehrgangsdauer betrage 46 Monate. Die Fortbildung beinhalte Samstags- und Seminarunterricht im Umfang von mindestens 70 Unterrichtsstunden pro Semester. Zusätzlich erfolge ein Selbststudium mit dem Lehrmaterial des D.-Technikums. Der Beklagte lehnte die Wiedergewährung des Merkzeichens H mit Bescheid vom 13.02.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2003 ab. Zur Begründung gab er an, die Fortbildung sei hinsichtlich der Dauer zwar einer beruflichen Erstausbildung vergleichbar. Hinsichtlich der Unterrichtsart unterscheide sie sich aber wesentlich von einer Erstausbildung. Unterricht finde nämlich nur an einem halben Tag pro Woche statt, später in zwei Kompaktseminaren pro Semester. Die typische zur Hilflosigkeit eines Gehörlosen führende Situation einer Ausbildung - Unterricht grundsätzlich jeden Tag bzw praktische Anleitung bei einer Lehre - sei hier nicht gegeben. Das Leben des Klägers werde nicht - wie sonst bei einer Ausbildung - überwiegend davon bestimmt, dass er auf mündliche Kommunikation ständig und besonders angewiesen sei. Eine der allgemeinen Definition von Hilflosigkeit vergleichbare Situation (Notwendigkeit fremder Hilfe in erheblichem Umfang dauernd im Ablauf eines jeden Tages bei einer Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung der persönlichen Existenz) bestehe daher beim Kläger nicht.

Gegen diese Bescheide hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Würzburg erhoben. Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 10.07.2003 den Beklagten verurteilt, unter Abänderung des Bescheides vom 13.02.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2003 beim Kläger die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens H ab Oktober 2002 anzuerkennen. Es hat unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) die Auffassung vertreten, dass nicht wesentlich auf die Unterrichtsart, sondern auf die Intensität des Lernens und Fertigkeitserwerbs abzustellen sei. Die Intensität bei der Weiterbildung zum staatlich geprüften Elektrotechniker sei mindestens genauso, wenn nicht sogar höher einzuordnen, als bei der Ausbildung zum Elektroniker. Der Kommunikationsbedarf des Klägers im Rahmen seiner Weiterbildung komme dem Kommunikationsbedarf während einer Erstausbildung gleich, auch wenn ein solcher im Rahmen seiner Weiterbildung nicht täglich bestehe.

Gegen dieses Urteil hat der Beklagte Berufung eingelegt und geltend gemacht, dass während der Fortbildung nicht die gesamte Lebensführung des Klägers durch Hilfsbedürftigkeit geprägt sei. Es sei nicht die Situation wie bei einer Erstausbildung gegeben, in der das Leben überwiegend auf Ausbildung ausgerichtet sei. Während Schule, Lehre oder Studium werde die ganze Arbeitskraft vollzeitig auf den Erwerb von Kenntnissen bzw Fertigkeiten gerichtet. Dabei spiele die mündliche Kommunikation eine besondere Rolle. Während der Schulzeit und des Studiums seien grundsätzlich an 5 Tagen in der Woche Unterricht bzw Vorlesungen. Bei einer Lehre finde Berufsschulunterricht zwar nur an ein oder zwei Tagen in der Woche oder geblockt statt, doch sei auch in der praktischen Ausbildung mündliche Kommunikation von besonderer Bedeutung, und zwar wegen der Anleitungen durch den Meister oder sonstige Ausbilder, eventueller Fehlerkorrektur und anderer Rückmeldungen, sowie der Kommunikation mit Kollegen, die auch dem Lernprozess diene. Im G...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge